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BAUSTEIN 301 - 350

350. Selbstzerfleischung der Menschheit  -  16. November 2015

Natürlich ist Trauer angebracht, über die Toten und Verwundeten der Terroranschläge, die in Beirut und Paris Mitte November 2015 stattgefunden haben und zu denen sich der „Islamische Staat“ bekannt hat. Aber handelt es sich einfach um das Wüten einer Terrororganisation, die wir in aller Entschlossenheit und mit Waffengewalt ausschalten müssen? Handelt es sich nicht vielmehr um die Selbstzerfleischung der Menschheit?

Am 27. April 2015 ist das Buch „Inside IS - 10 Tage im ‚Islamischen Staat’“ von Jürgen Todenhöfer erschienen. Aus diesem Anlass gab der Autor, ein ehemaliger Richter, den NachDenkSeiten ein Interview. Im November 2014 war er als bislang weltweit einziger westlicher Journalist zehn Tage lang im Zentrum des IS, in Mossul, gewesen. Ich zitiere nun einige Stellen aus dem Interview.

„Der IS zelebriert gnadenlos, was der Westen zu vertuschen versucht. Er will uns zeigen, wie pervers unsere Kriege sind und bringt hierzu den Tod in unsere Wohnzimmer. Uns schockiert die barbarische Brutalität des IS, weil wir denken, dass unsere weit entfernten Kriege sauber wären. Erst wenn es um Menschen des Westens, um einen von uns sozusagen, geht, merken wir manchmal, wie pervers und grausam jedes Töten ist. Auch die 1 Million Tote im Irak-Krieg sind nicht vorher betäubt worden, bevor sie durch amerikanische Bomben zerfetzt oder verbrannt worden sind. Auch sie haben furchtbar gelitten.“

„Die westliche Gewalttätigkeit sprengt, wie der Krieg gegen den Irak und auch der alltägliche Drohnenkrieg zeigen, ja oft in der Tat alle Grenzen. Quantitativ ging sie sogar weit über das hinaus, was uns der brutale IS-Terrorismus heute vorführt. Angriffskriege und krasse Ungerechtigkeiten sind aber ein Bumerang, der am Ende fast immer als Terrorismus zurückkommt. Der Westen bekämpft letztlich seine eigene Gewalt, wie Sartre einmal sagte. Das kapieren viele westliche Politiker leider nicht.“

Unsere Politiker haben nach mehr als 14 Jahren gescheiterter Anti-Terror-Kriegs-Politik nichts dazu gelernt. Terrorismus ist eine Ideologie, die man nicht erschießen oder wegbomben kann. Man muss sie widerlegen und ihr den Nährboden entziehen. Ihr Nährboden, das sind unsere Kriege und unsere Ungerechtigkeiten. Unsere  Bomben-Kriege der letzten 14 Jahre waren am Ende Terror-Zuchtprogramme. [...] Erst wenn wir aufhören, den Mittleren Osten zu bombardieren, und aufhören, dort korrupte, von uns abhängige Satellitenstaaten zu schaffen, die ihr Volk ausbeuten, erst dann wird der IS seine Basis verlieren.“

Unsere Politiker sind unfähig, diese Zusammenhänge zu sehen. Als Antwort auf die Attentate in Paris hat Frankreich die Bombenangriffe auf IS in Syrien verstärkt. Und wir, die wir sie sehen? Was können wir tun? Schließen wir uns zusammen, über alle eingebildeten Grenzen von Religionen und Weltanschauungen hinweg. In diesem Sinn zitiere ich einen Facebook-Eintrag von Mandakini Jacobsen:

„One day we will realize that big hearts will bring us more peace than big weapons.“
(„Eines Tages werden wir einsehen, dass große Herzen uns mehr Frieden bringen werden als große Waffen.“)
Aus: Anthony Douglas Williams, „Inside the Divine Pattern“.

„In stillem Gedenken all der Opfer in Paris. Gerade in solch schwerer Zeit ist das Gebet jedes Einzelnen das Wichtigste. Mögen alle Wesen glücklich sein! Ich bete für den FRIEDEN in unseren Herzen. Ich bete für das weltweite Erwachen. Ihr mutigen Männer und Frauen der neuen Zeit, die ihr schon eure Waffen ins Feuer der Liebe gegeben habt zur Transformation! Ich danke euch für euren Mut, den wahren Mut, die wahre Kraft. Nehmt eure Brüder und Schwestern im Herzen an die Hand und macht ihnen Mut, ganz auf die Liebe zu schauen, sich von Herz zu Herz zu begegnen. Heute ist tiefe Stille der beste Freund an deiner Seite. Namaste Mandakini“

Feedback von Christoph Kühnhanss:

Dein Baustein eben hat mich sehr gefreut und beeindruckt, denn du drückst da so klar aus, was ich seit den Anschlägen (natürlich auch seit denen von Charly Hebdo etc.) denke: Wen wundert’s? Da sind die Blutlachen noch nicht weggewischt in Paris, schon fliegen französische Bomber Vergeltungseinsätze in Syrien und töten, natürlich messerscharf gezielt, nur ganz böse IS-Terroristen… wie dumm das alles. Wie viele sind heute in Syrien wohl umgekommen. Wohl mehr als 130 Unschuldige. Was ist das für eine verrückte Logik?

Wenn Hollande Größe hätte, würde er sagen: Wir lassen uns nicht auf diesen unmenschlichen, herzlosen und verrückten Kampf ein. Wir wenden nicht eure Mittel des Bösen an. Wir vergelten unschuldiges Blut nicht mit noch mehr unschuldigem Blut, das führt zu nichts. Wir Franzosen halten solche Attentate aus. Ihr könnt uns nicht alle töten. Wir sind Millionen. An Euren Taten erkennt man nur eins: Wie sehr ihr im Unrecht seid!… etc. etc. Halt so uralte Weisheiten, wie sie Gandhi, Mandela, Jesus, Buddha seit Jahrtausenden verkündet haben.

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349. Harvey, was meinst du?  -  9. November 2015

Vor einigen Tagen sahen Gerhild und ich eine Aufführung der Theatergruppe KTK Lampenfieber. Sie spielten „Mein Freund Harvey“ von Mary Chase. Harvey ist ein ca. zwei Meter großer, weißer unsichtbarer Hase. Er wird nur von Elwood P. Dowd gesehen, der für ihn einen Mantel hat und einen Hut mit zwei Löchern, damit der Hase die Ohren durchstecken kann. Elwood umsorgt Harvey und hört auf ihn. Immer wieder fragt er ihn: „Harvey, was meinst du?“ Elwood ist ein ungemein liebenswerter und beliebter Mensch. Mit entwaffnender Liebenswürdigkeit gibt er naive Wahrheiten von sich. Er ist großzügig und hilfsbereit. Der Familie ist sein Spleen mit dem Hasen jedoch peinlich und sie wollen ihn in einem Sanatorium behandeln lassen. Elwood legt aber in entwaffnender Weise die Schwächen des Psychiaters bloß, sodass schließlich dieser auf der Couch liegt, während Elwood an seinem Kopfende sitzt und Notizen macht. Eine einzige Injektion würde Elwood in die alltägliche Normalität zurückholen. Ein Taxilenker warnt vor den Konsequenzen: Elwood würde kleinlich und spießbürgerlich wie alle anderen Menschen werden. Die Injektion unterbleibt.

Die 1944 uraufgeführte Komödie wandelt ein Thema ab, das auch heute von brennender Aktualität ist: Die Welt ist verrückt und nur der Verrückte ist heil. Die Wahrnehmung des Verrückten ist deswegen verschoben, weil er die Krankheit der Gesellschaft trägt.

In anderer Form ist das ein Lebensthema von mir. Im Rahmen der Arbeit bei der Dramatischen Werkstatt Salzburg, an der ich im Sommer 1968 teilnahm, schrieb ich meinen Einakter „Sibyl“, der bei der Abschlussvorstellung der Werkstatt gespielt wurde. Das Mädchen trägt den Namen Sibyl in Anlehnung an die Sibyllen, die Seherinnen in der Mythologie der griechischen Antike. Ich dachte dabei besonders an die Pythia, die in der Tempelanlage des Apollon in Delphi ihre Weissagungen verkündete. Das Mädchen Sibyl ist nicht viel älter als 22 und schizophren in einem frühen Stadium. Sie zerfällt in zwei Schichten:
Das „Ich“ hat Angst, ist ausgeliefert, festgehalten.
Die „Person von ihr“ hat keine Angst, ist frei und zu Hause.
Die „Person von ihr“ erscheint dem Mädchen als etwas Fremdes.
Sibyl erkennt im Zuge der Behandlung, dass sie das „Ich“ UND „die Person von ihr“ ist, der leidende Gott und der tanzende Gott. Sie ruft aus: „ICH BIN SIBYL“.

Sibyl ist ein Teil von mir.

(Siehe auch: 292. Sibyl.)

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348. Glücklich oder verraten?  -  1. November 2015

Heute gab es bei uns in Pressbaum in den beiden katholischen Kirchen einen Gottesdienst zum Hochfest Allerheiligen, in der evangelischen Kirche einen Gottesdienst zur Reformation, denn gestern war der Reformationstag. Im katholischen und im evangelischen Bereich war das gleiche Evangelium: Die Seligpreisungen nach Matthäus.

Gerhild und ich waren beim evangelischen Gottesdienst. Der Pfarrer begann seine Predigt, indem er die Anti-Seligpreisungen von Heinrich Fries vorlas:

„Verraten sind die Armen, denn sie haben nichts einzubringen.
Verraten sind die Leidtragenden, denn sie sind ausgeschlossen aus der Gesellschaft.
Verraten sind die Sanftmütigen, denn sie werden an die Wand gedrückt werden.
Verraten sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn Macht geht vor Recht und Geld regiert die Welt.
Verraten sind die Barmherzigen, denn Undank ist der Welt Lohn.
Verraten sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden übers Ohr gehauen.
Verraten sind die Friedfertigen, denn sie werden zwischen die Fronten geraten.
Verraten sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn am Ende ist doch alles umsonst.“

Die Predigt behandelte dann die Frage: Was haben uns die Seligpreisungen trotzdem zu sagen?

Ich stelle nun den Anti-Seligpreisungen nicht die Seligpreisungen nach Matthäus gegenüber, sondern die Wohl- und Weherufe nach Matthäus und Lukas in meiner Bearbeitung. Bis auf drei spätere Änderungen habe ich sie in dieser Form in meinem Buch „Botschaft ohne Grenzen - Eine neue Zusammenschau der synoptischen Evangelien“ veröffentlicht.

Glücklich werden die, die alles von Gott erwarten, ob es ihnen nun gut oder schlecht geht, denn für sie öffnet sich Gottes Welt.
Glücklich werden die, denen das Notwendige zum Leben fehlt, und die, die keine Rechte haben, denn Gott will, dass sie sich zusammenschließen und dass andere Menschen für sie einstehen.
Glücklich werden die, die sich in großer Trauer ganz Gott anvertrauen, denn Gott will sie stärken und er will, dass andere Menschen ihnen beistehen.
Glücklich werden die, die nicht Gewalt anwenden, sondern die Kraft weitergeben, die sie von Gott empfangen, denn dadurch geschieht das, was Gott will.
Glücklich werden die, die sich selbst nicht vernachlässigen und die sich voll Mitgefühl an andere Menschen verschenken, denn ihnen wird viel geschenkt.
Glücklich werden die, die nicht täuschen und verleumden, sondern sich ein reines Herz bewahren, denn Gott wohnt in ihnen.
Glücklich werden die, die dort, wo Unfrieden herrscht, zum Frieden beitragen, denn sie erweisen sich als Kinder Gottes.
Glücklich werden die, die verfolgt werden, weil sie die Schutzlosen beschützen, denn Gott trägt sie in der Verfolgung.
Glücklich werdet ihr, wenn ihr das Leben des Menschensohns in eurem eigenen Leben weiterführt und wenn ihr euch dadurch den Hass derer zuzieht, die unrechte Macht und unrechten Besitz nicht aufgeben wollen. Freut euch und lasst euch nicht davon abbringen, die Kraft und Liebe Gottes auf die Erde zu bringen, denn je mehr ihr gebt, desto mehr bekommt ihr geschenkt.

Unglücklich werden die, die auf ihrer Macht und ihrem Besitz beharren und nicht teilen wollen, denn sie werden einsam.
Unglücklich werden die, die im Überfluss leben, ohne sich um den Hunger der anderen zu kümmern, denn alles wird ihnen schal und leer.
Unglücklich werden die, die für ihr Vergnügen leben und kein Interesse für andere Menschen aufbringen, denn sie bekommen nie genug.
Unglücklich werden die, die sich von Schmeichlern dazu verführen lassen, selbstgefällig zu werden, denn sie verlieren die Fähigkeit, auf Gott zu hören.

Ist die Menschheit nun auf dem einen oder auf dem anderen Weg? Auf dem Weg der Seligpreisungen oder auf dem Weg der Anti-Seligpreisungen? Weder - noch. Wir Menschen erleben in diesen Tagen - oder in diesen Jahrhunderten - die Verwandlung von der Puppe zum Schmetterling, und der Schmetterling wird fliegen lernen. Die ganze Menschheit, die ganze Welt ist in dieser Situation.

(Siehe auch: 251. Alle meinen den einen Gott.)

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347. Das Gwirkst mit der Liturgie  -  26. Oktober 2015

Mit der römisch-katholischen Liturgie gibt es ein Gwirkst, eine verzwickte Angelegenheit. Das Gwirkst besteht darin, dass einerseits die „Gläubigen“ tätig mitwirken sollen, andererseits ihre Mitwirkung auf das Formelhafte beschränkt wird. Außerdem werden die Personen mit Weiheamt von den „Gläubigen“ unterschieden. Das beginnt damit, dass der Priester bei der Eröffnung der „heiligen Messe“ sagt: „Der Herr sei mit euch.“ Die erwartete Antwort der Gemeinde ist: „Und mit deinem Geiste.“ Die Erwähnung des Geistes bezieht sich auf das Amtscharisma, das mit der Weihe verliehen wird.

Meine Antwort lautet: „Und mit dir.“

Dann kommt das sogenannte Schuldbekenntnis. Am schlimmsten ist es, wenn die folgende Formel verwendet wird, die alle mitsprechen sollen: „ Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld. Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserm Herrn.“

Wenn das gebetet wird, bleibe ich stumm. Formelhaft eine große Schuld zu bekennen, Maria eine Jungfrau zu nennen - das alles kommt für mich nicht in Frage.

Nach den beiden Lesungen sagt der Lektor/die Lektorin in der Regel. „Wort des lebendigen Gottes.“ Die erwartete Antwort ist: „Dank sei Gott.“

Diese Antwort kommt von mir nur, wenn ich sie von Herzen sprechen kann. Ansonsten bleibe ich stumm. Einmal habe ich laut und deutlich „Nein“ gesagt, als nämlich der Lektor mit frommer Miene vorlas, dass Paulus im Galaterbrief geschrieben hatte: „Wer euch aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht.“ (Gal 1,8.9.)

Nach dem Evangelium und der Predigt wird man in fast allen Gottesdiensten aufgefordert, das apostolische Glaubensbekenntnis mitzusprechen. Hier bleibe ich immer stumm, denn mein Glaubensbekenntnis ist das nicht. Ich habe das apostolische Glaubensbekenntnis bearbeitet, um Formulierungen zu erhalten, die mir von Herzen kommen. Aber ich wünsche mir nicht, dass die von allen gebetet werden. Vorzuziehen wäre eine kurze Stille, in der sich alle darauf besinnen können, was Jesus für sie bedeutet.

Nach den Fürbitten folgt das Gabengebet. Der Priester sagt: „Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle.“ Darauf wird folgende Antwort erwartet: „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhme seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche.“

Wenn das gebetet wird, bleibe ich stumm. Weder ist meine Hingabe ein Opfer noch brauche ich einen Priester als Mittler, der meine Gaben Gott darbringt.

Nachdem der Priester Brot und Wein als Leib und Blut des auferstandenen Jesus dargereicht hat (er hat sie nicht verwandelt!), sagt er: „Geheimnis des Glaubens.“ Als Antwort wird erwartet: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“

Stattdessen sage ich: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, du bist da in Herrlichkeit.“ Denn er ist in unserem Leben jetzt da und bei unserem Tod unmittelbar da, er kommt nicht erst in Herrlichkeit an einem sogenannten „jüngsten Tag“.

Nach dem Hochgebet folgt das Vaterunser, das von allen und auch von mir sehr gerne gesprochen wird. Statt „Und führe uns nicht in Versuchung“ sage ich „Und lass uns der Versuchung nicht erliegen“. Dass Gott uns in Versuchung führt, kann ich nicht nachvollziehen. Der Katechismus der Katholischen Kirche erklärt in VI/2846 zu dem Wort „führen“, dass der griechische Ausdruck so viel bedeutet wie „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ (vgl. Mt 26,41) oder „Lass uns ihr nicht erliegen“.

Nach dem Friedensgruß wird von allen gebetet: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser / gib uns deinen Frieden.“ Damit habe ich kein Problem, auch nicht damit, dass der Priester sagt: „Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.“ Allerdings verbinde ich mein eigenes Verständnis damit. Für mich ist Jesus kein Opferlamm, kein Sündenbock, auf den die Schuld aller Menschen aller Zeiten geladen wurde. Er ist vielmehr in seiner Totalhingabe der schändlichsten aller Hinrichtungen nicht ausgewichen und zieht uns in diese Totalhingabe mit hinein, dass wir werden wie er, dass aus uns Helfer für die Befreiung aller Menschen und aller anderen Wesen werden.

Damit beende ich meinen kleinen Streifzug durch die „heilige Messe“ der römisch-katholischen Kirche. Immer wieder bin ich auch bei einem Gottesdienst mit Abendmahl der evangelischen Kirche dabei. Dabei fallen alle genannten Probleme weg, mit zwei Ausnahmen: Auch dort wird „Und führe uns nicht in Versuchung“ gesagt. Und man wird auch dort genötigt, das apostolische Glaubensbekenntnis zu sprechen.

(Siehe auch: 174. Mein apostolisches Glaubensbekenntnis.)

Feedback von Josef Georg Simmerstätter:

Über Deine Vorschläge kann man gründlich nachdenken und gar manches ändern. Ich stoße mich jedes Mal an der Formulierung: „Wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen.“ Wer sagt das als sein persönliches Gebet? Ich schlüge vor: „... berufen hast, im Kreis deiner Jünger das Werk deines Sohnes in der Welt fortzuführen.“ - Das Glaubensbekenntnis verlangt förmlich nach einer gründlichen Überarbeitung des Textes und ich würde es lieber im Plural sprechen, denn Christen sind wir ausschließlich in Einheit mit Christus. - Jesus hat uns das einzige Gebet im Plural hinterlassen und wir beten es auch im „stillen Kämmerlein“ im Plural, was doch heißt, dass wir uns auch dann, wenn wir allein beten, in der Gemeinschaft mit "Haupt und Gliedern" fühlen. Christ ist keiner allein, das sind wir immer in Einheit mit Haupt und Gliedern und nur so!

Bei der „Messe“ ließe sich vieles weitaus freier gestalten, auch je nach Anlass variieren. Das Tridentinum hat dem Brotbrechen einen Gipsverband angelegt, den wir bis heute nicht abgelegt haben.

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346. Ein Abend mit Deva Premal & Miten  -  14. Oktober 2015

Deva Premal & Miten sind weltbekannt, mehr als eine Million CDs wurden von ihnen verkauft. Ihre Namen sind Osho-Namen. „Deva Premal“ bedeutet „voll göttlicher Liebe“. „Prabhu Miten“ bedeutet „Freund Gottes“. Als Fackelträger einer 5.000 Jahre alten Tradition propagieren sie das Chanten von Mantren und damit verbundenen einfachen Liedern, die oft wiederholt werden. Bei ihren Auftritten entsteht ein Wechselgesang mit dem Publikum. Sie berühren die Herzen der Menschen, indem sie Mantren Indiens und Tibets, aber auch alte afrikanische Gesänge mit zeitgenössischen musikalischen Arrangements verbinden.

Einige Zitate von ihrer Website, in meiner Übersetzung:

„Unsere Nahrung und unser Lebenswerk ist es, Zusammenkünfte rund um den Planeten zu schaffen, wo Menschen gemeinsam feiern und meditieren können.“

„Die Mantras sind alte Klänge, Urklänge, die zu unserem Kern, dem Zentrum unserer Zellen sprechen.“

„Wir spielen die Mantras auf der ganzen Welt, und kulturelle Grenzen sind einfach nicht vorhanden. Sie arbeiten auf einer unterschwelligen Ebene und daher heilen sie uns.“

Gestern Abend gastierten sie zusammen mit dem nepalesischen Musiker Manose in Wien, in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal. Das Konzert dauerte mit Pause fast vier Stunden, eine Zeit, die kurz erschien und die Einigkeit immer stärker hervortreten ließ. Der Abend begann, indem Deva Premal das „Om“ anstimmte. Wenn ich das „Om“ mitsinge, sind immer auch Obertöne dabei. Nach einigen Wiederholungen kam „Shānti“ dazu, wir sangen „Om shānti shānti shānti om“. Nach dem Lexikon der östlichen Weisheitslehren ist Om eine Manifestation der spirituellen Kraft, ein Symbol, das die Gegenwart des Absoluten bezeichnet. Im Jesuitenkloster in Pune, wo Pater Cyril Desbruslais lebt, ist das Om-Zeichen auf dem Tabernakel. „Om shānti shānti shānti om“ gehört zu den Friedensmantras, zu den Gebeten um Frieden aus den Veden. Nach dem oben genannten Lexikon ist Shānti „der innere Friede, den man durch die spirituelle Erkenntnis erlangt, dass man nicht der sterbliche Körper ist, sondern unvergängliches Bewusstsein“. Das Singen dieses Mantras führt zum Frieden mit sich selbst und mit allem, was ist.

Es ist schwer, den Zauber des gestrigen Abends wiederzugeben. Ich bringe ein Beispiel. Wir sangen einen Text aus dem Rubaiyat des persischen Sufi-Mystikers Rumi in englischer Sprache, ergänzt mit dem „Om“:

„draw near, draw near
draw near, draw near
and i will whisper in your ear
the name whose radiance makes the spheres to dance
OM“

In meiner Übersetzung:

„Komm nahe her
komm nahe her
dann flüstere ich dir ins Ohr
den Namen, dessen Glanz die Sphären tanzen lässt
OM“

Dieses Lied wurde dann abwechselnd mit folgendem Mantra gesungen, das sich hingebungsvoll an Gott wendet:

„hari om
hari om
hari shiva
shiva om
hare ram ram ram ram ram ram ram ram“

Schließlich wurden der englische Text und der Sanskrit-Text ineinander verwoben, wie bei einem Kanon. Eine Aufnahme davon wurde beim Konzert „Songs For The Sangha“ am 6. Juni 2015 gemacht.

Gegen Ende des Abends sangen wir „Halleluja!“ als Mantra, dieses hebräische Wort, das „Lobt Jah!“ bedeutet, lobt JHWH, den höchsten, unaussprechlichen Gott. Dabei sangen die meisten von uns schon stehend und hatten die Arme in der Höhe, wie wir es auch von der christlichen charismatischen Erneuerungsbewegung kennen. Das „Halleluja“ ging schließlich in das „Om shānti shānti shānti om“ über, darauf folgte das „Om“ allein.

Deva Premal, Miten und Manose legten die Hände vor der Brust zusammen und sagten „Namaste“. Wir erwiderten es und ehrten so das Göttliche in jedem Menschen, in jedem Wesen. Der Abend endete in Stille.

(Siehe auch: 298. Das Gāyatrī-Mantra.)

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345. Freibrief für Kriegsverbrechen  -  8. Oktober 2015

Präsident José Figueres Ferrer ließ in Costa Rica die Armee am 8. Mai 1949 per Verfassung abschaffen und investierte die hierdurch freigesetzten Gelder in den Aufbau des Bildungs- und Gesundheitswesens. Grenzschutzaufgaben übernahm die Polizei. 1983 erklärte das Land seine „dauerhafte und aktive unbewaffnete Neutralität“. Am 1. Juli 2010 genehmigte jedoch das Parlament Costa Ricas die Stationierung von 46 Kriegsschiffen, 7.000 Marinesoldaten, 200 Kampfhubschraubern und 10 Kampfflugzeugen der USA in Costa Rica, um den von Kolumbien ausgehenden Drogenschmuggel zu bekämpfen. Diese massive Militärpräsenz macht weit darüber hinausgehende Einsätze möglich. Da die Verfassung Costa Ricas die Anwesenheit von Streitkräften auf dem Gebiet des Landes verbietet, reichte die Opposition eine Klage beim Verfassungsgericht ein, der nicht stattgegeben wurde. Die Stationierung wurde zunächst auf einen Zeitraum von sechs Monaten bis zum 31. Dezember 2010 befristet. Seither wird sie um jeweils sechs Monate verlängert. Die uneingeschränkte Straflosigkeit von US-Soldaten wurde zu einer Voraussetzung des Einsatzes gemacht, wie das bei allen Auslandseinsätzen des US-Militärs üblich ist. Mit Polizeivollmacht ausgestattet, ist es den US-Soldaten gestattet, „Verdächtige“ festzunehmen und außer Landes zu bringen. (Nach Wikipedia, Stichwort „Costa Rica“, und einigen anderen Quellen.)

Die völlige Immunität des US-Militärs bei ihren weltweiten Kriegseinsätzen ist ein Freibrief für Kriegsverbrechen. Dafür bringe ich zwei Beispiele.

„US-Streitkräfte und vom Pentagon beauftragte private Militärdienstleister haben laut Untersuchungen einer unabhängigen Kommission mindestens 54 Kinder, oft unter Einsatz von Drogen, in Kolumbien sexuell missbraucht. Die Immunität von US-Soldaten im Ausland verhindert eine strafrechtliche Verfolgung.“ (Aus einem Blog-Eintrag auf 3tags vor sechs Monaten.)

„Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) beschuldigt die USA, mit dem tödlichen Luftangriff auf ihre Klinik im afghanischen Kunduz ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. MSF-Belgien-Generaldirektor Christopher Stokes forderte eine ‚vollständige und transparente Untersuchung’ des Vorfalls mit 22 Toten durch eine ‚unabhängige internationale Organisation’.“ (Aus einem Artikel im Standard vom 6. 10. 2015.)

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344. Die Kirche von morgen  -  30. September 2015

Unter dem Titel „Die Kirche von morgen - Was ein Reformkonzil beschließen muss, um den Niedergang abzuwenden“ hat die Reformbewegung Laieninitiative im September 2015 ein Grundsatzdokument veröffentlicht und in ihrem Newsletter Nr. 30 bekannt gemacht. Mit diesem Dokument leistet sie einen Beitrag, um die tief greifende Krise der römisch-katholischen Kirche abzuwenden, deren Ursache darin liegt, „dass Lehre und System der Kirche zu wesentlichen Teilen überholt und Menschen unserer Zeit nicht zumutbar sind“. Ich halte das Dokument für so wesentlich, dass ich hier die im Newsletter Nr. 30 veröffentlichte Kurzfassung vollinhaltlich wiedergebe. Sie enthält die folgenden Punkte. Anmerkungen von mir sind in eckiger Klammer.

Soweit die Kurzfassung des Dokuments der Laieninitiative. Meine Auffassung ist radikaler. Im Juni 2011 habe ich meinen Baustein 129. Die Zeit der Religionen ist vorbei mit folgenden Worten beendet:

Was wird von all den Religionsgesellschaften übrig bleiben, den christlichen und den anderen? Wenn es gut geht, werden sie ihre Macht verlieren und die Formulierung ihrer Bekenntnisse wird nicht mehr normiert sein. Dann werden sie Jesus näher sein. Dann wird es anerkannt sein, dass man zu Jesus gehören kann, auch ohne getauft zu sein. Dann wird eine neue Kultur des Miteinanderlebens in Reichweite sein.

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343. Glücklich in Petrití  -  27. September 2015

Korfu ist als die grünste der griechischen Inseln bekannt. Deshalb wollte ich dort hin, zusammen mit Gerhild, meiner Frau. Natürlich ans Meer, da ich gerne weit hinausschwimme.

Am Tag vor unserem Flug nach Korfu bekam ich mit der Post das Buch „Osho - Autobiografie“ und ich begann es gleich zu lesen. Dabei entstand die Vorstellung, den dreiwöchigen Urlaub, in dem Gerhild und ich besonders faul sein wollten, mit Notizen in Lyrik und Kurzprosa zu begleiten.

In Petrití las ich zuerst das Osho-Buch, dann eine Zeitschrift über Buddhismus in Österreich, die ich im Andachtsraum am Flughafen Wien-Schwechat mitgenommen hatte, dann einen schmalen Krimi aus der Gästebibliothek der Pension Égrypos. Während des ganzen weiteren Aufenthalts las ich so gut wie nichts mehr. Ich war einfach da und schaute, was in mir und um mich herum geschieht. Das empfand ich als äußerst heilsam.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit war ich in empfangender Haltung. In Petrití und in den Tagen davor und danach, also vom 30. August bis zum 29. September 2015, entstanden insgesamt 84 Notizen, zwei Drittel Kurzprosa und ein Drittel Lyrik: Naturbeobachtungen, Lebenserfahrungen, weltanschauliche Erörterungen, Traumerlebnisse und Blödeleien. Dass diese Notizen entstehen konnten, hat viel mit der kongenialen Übereinstimmung zwischen Gerhild und mir zu tun. Und ich danke allen Griechinnen und Griechen, Hunden, Katzen, Eseln, Schafen, Ziegen, Hühnern, Möwen, Schwalben und Spatzen, denen wir zu unserer Freude begegnen durften und die etwas zu den Notizen beigetragen haben, ohne es zu ahnen. Und der Landschaft und dem Meer, die uns ihre Schönheit und Kraft darboten.

Demnächst werde ich meine Notizen bei tredition als Buch herausgeben. Das Buch wird folgenden Titel haben: „Glücklich in Petrití - Urlaubsimpressionen aus Korfu“.

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342. Aber es ist die Angst  -  29. August 2015

Im vorigen Baustein habe ich das dritte Bodhisattva-Gelübde genauer angeschaut. Nun folgt das zweite. In der Fassung von Ruben Habito lautet es:

Unerschöpflich sind die eitlen Gedanken und Gefühle; ich gelobe, sie alle zu lassen.

Das Wort „unerschöpflich“ würde mich und die Menschheit vor eine unlösbare Aufgabe stellen. Daher habe ich das Gelübde für meine Verwendung wie folgt geändert:

Maßlos sind die Gedanken und Gefühle von Gier, Hass und Verblendung; ich gelobe, sie alle zu lassen.

Die „eitlen Gedanken und Gefühle“ sind die „Gedanken und Gefühle von Gier, Hass und Verblendung“: „Die Drei Geistesgifte sind ein zentraler Begriff des Buddhismus. Gier (Pali: lobha), Hass (Pali: dosa) und Unwissenheit (Sanskrit: avidhya) oder Verblendung (Pali, Sanskrit: moha) sind die drei grundlegenden ‚Geistesverschmutzungen’ (Pali: kilesa).“ (Aus: AnthroWiki, Stichwort „Drei Geistesgifte“.)

Mahatma Gandhi sagt: „Die Angst ist unser Feind. Wir denken, es ist der Hass, aber es ist die Angst.“ (Zitiert nach: brennstoff Nr. 41, S. 15.)

Die Angst ist eine Quelle vieler Situationen, in denen Gier, Hass oder Verblendung herrschen. Letzten Endes ist es bei Unterdrückern und Unterdrückten die Angst davor, ungesichert und ungeborgen zu sein. Aber nur der Sprung in die Ungeborgenheit führt zu völliger Geborgenheit. Wer wagt diesen Sprung, immer wieder? Das Schicksal der Menschheit hängt davon ab.

Mahatma Gandhi sagt auch: „Es ist schwer zu sagen, was Wahrheit ist. Ich habe diese Frage für mich selbst gelöst. Sie ist das, was die innere Stimme in jedem von uns sagt.“ (Zitiert nach: brennstoff Nr. 41, S. 13.)

Meine innere Stimme ist unaufdringlich. Aber in entscheidenden Situationen ist sie unüberhörbar. Ich habe immer auf sie gehört.

(Siehe auch: 222. Die Bodhisattva-Gelübde im Detail.)

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341. Kein Tor, keine Wahrheit  -  23. August 2015

Ich gehe einen Weg, der mir allein gehört. Das ist nichts Außergewöhnliches. So ist es mit jedem Wesen. Wenn das Bewusstsein davon aufleuchtet, erstrahlt die Freude. Und dann ist kein isoliertes Ich mehr da.

Zu meinem Weg gehören die vier Bodhisattva-Gelübde, wie sie im chinesisch-japanischen Mahāyāna formuliert werden. Das dritte Gelübde lautet:

Ungezählt sind die Tore der Wahrheit; ich gelobe, sie alle zu durchschreiten.

Eine genaue Übersetzung spricht nicht von den Toren der Wahrheit, sondern von den Toren des Dharmas. Der Begriff „Dharma“ bedeutet im Buddhismus sowohl die Lehre des Buddha und der großen Boddhisattvas als auch die Wahrheit, die sie erkannt, verkörpert und gelebt haben. Weitere Bedeutungen gebe ich hier nicht an.

Im Mahāyāna spricht man von 84.000 Dharmatoren, durch die man in die Wirklichkeit hineingehen kann. 84.000 ist dabei eine symbolische Zahl, die im Buddhismus in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird. So gibt es im Lotos-Sūtra ein Kapitel vom allumfassenden Tor des Avalokiteshvara Bodhisattva. Dieses Kapitel endet mit den Worten:

„Als der Buddha dieses Kapitel vom allumfassenden Tor gepredigt hatte, erweckten die 84.000 Wesen in der Versammlung alle den Gedanken unübertroffener, vollständiger, vollkommener Erleuchtung.“ (Aus: „Schriften der Soto-Schule für tägliche Zeremonien und Übung“, Soto Zen Hamburg.)

„Meditations- und Achtsamkeits-Übungen, doch auch ganz gewohnte Dinge können uns zum Tor des Erwachens werden, wenn wir ungeteilte Achtsamkeit für den Augenblick entwickeln: vielleicht das Antlitz eines geliebten Menschen, das Rauschen eines Bergbaches, der Duft eines Kiefernwaldes, der Geschmack frischen Wassers. [...] Bei all diesen Dharmatoren geht es nicht um ‚absolute‘ Wahrheiten, sondern um ihr Potenzial, unseren Herz-Geist zu berühren, sodass wir die Wirklichkeit erkennen können und aufwachen aus dem Schlaf unserer Illusionen.“ (Aus: M. B. Schiekel, „Einige Gedanken zu Nāgārjunas Mādhyamaka-Philosophie“.)

Die Freude am Leben macht es möglich, auf allen Wegen mit dabei zu sein, durch alle Tore der Wahrheit zu gehen, bis schließlich kein Tor mehr da ist und keine Wahrheit, die man festhalten kann.

(Siehe auch: 222. Die Bodhisattva-Gelübde im Detail.)

Feedback von Barbara Falke:

Ja, ich denke auch, jeder hat seinen eigenen Weg, und es ist immer wieder sichtbar, wenn man dem tiefsten Wunsch im Herzen folgt, dann zieht man Entsprechendes an. Was auch Aufgaben sein können, die bewältigt werden. Wenn man diese als „Baustellen“ auf dem Weg betrachtet, kann man größte Herausforderungen als Geschenk erleben und die Liebe zum Leben und zu allem einschließlich sich selbst stärken. Und dazu ist wichtig, immer wieder innezuhalten, wieder „zu sich“ zu kommen. Auch zurückzuschauen und die Muster zu erkennen, um Vertrauen in die Zukunft aufzubauen, wie Steve Jobbs das mal in "connecting dots" so gut beschrieb.

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340. Say Yes to Life  -  16. August 2015

Gerhild, meine Frau, und ich waren gestern beim Kräuterfest der Firma Sonnentor, das jedes Jahr am 15. August stattfindet. Es gab dort auch einen Flohmarkt und da sah ich eine große Tasse und eine Müslischüssel. Auf beiden stand „Der Held des Tages“. Spontan dachte ich mir: „So ein Häferl wäre auch für mich gut. Aber da sollte nicht draufstehen ‚Der Held des Tages’, sondern ‚Say Yes to Life’.“

Vor einiger Zeit habe ich ein dreiwöchiges Meditationsprogramm für Leute, die nicht viel Zeit haben, geübt. Es ist von Osho International, und der englische Satz, der mir bei dem Kräuterfest eingefallen ist, ist der Kernpunkt der Übung für den zwölften Tag. Diese Übung ist für mich die wichtigste an dem ganzen Kurs. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, lasse ich die Augen noch geschlossen und strecke mich im Bett wie eine Katze, und dann lache ich nicht laut, wie es in der Übung für den zehnten Tag empfohlen wird, sondern ich sage laut zu mir selbst: „Say Yes to Life“ („Sag Ja zum Leben“).

Für mich ist es von zentraler Wichtigkeit, den Tag so zu beginnen und diese Haltung den ganzen Tag über beizubehalten. Für alle Menschen wäre das wichtig. Immer wieder habe ich das Gegenteil erlebt. Ich führe nur zwei Beispiele an. Damit beleuchte ich das alltägliche Verhalten vieler Menschen.

Freudig erzähle ich einem Freund, dass Gerhild und ich am Tag zuvor ein Konzert von André Rieu im Fernsehen gesehen haben und wie schön es für uns war. Hat er sich nun mit uns gefreut? Im Gegenteil, er sagt sofort, dass André Rieu überhaupt nichts für ihn ist und erklärt mir, welche Musik er lieber hat.

Ein pensionierter Pfarrer schickt mir (und anderen) eine Auswahl von Gebeten, die ihm besonders wichtig sind. In der Antwort bedanke ich mich bei ihm für den Schatz, den er uns allen geschenkt hat, und schicke ihm nun umgekehrt das Gebet, das mir am wichtigsten ist und das ich jeden Tag bete. Es handelt sich um ein Gebet, das auf den Weg zur Totalhingabe führt. Hat er sich nun mit mir gefreut? Im Gegenteil, er antwortet mir, dass sein Gott nicht so ist und dass er so nicht beten könnte.

Nun folgen einige Ausschnitte aus dem Übungsprogramm zum zwölften Tag, die ich aus dem Englischen übersetze. Wer möchte, kann von mir den vollen Text der Übung haben.

„‚Nein’ ist ein Wort, das Türen schließt und dich von einigen der größten Erfahrungen des Lebens abhalten kann. ‚Ja’ öffnet Türen. Während du übst, zum Leben Ja zu sagen, geschehen gute Dinge. Chancen, die du vielleicht bisher ausgeschlossen hast, kommen zu dir. [...] Sobald du Akzeptanz ausstrahlst, möchte dich das Leben selbst beschenken.“

„Realisieren wir unser Einssein mit dem ganzen Leben, mit dem Universum. [...] Du kannst auf zwei Arten denken: Du kannst negativ denken, dann ist es falsches Denken. Oder Du kannst positiv denken, dann ist es richtiges Denken. Negatives Denken beginnt mit Ablehnung, Verneinen, ‚Nein’ ist sein Ausgangspunkt. [...] ‚Nein’ ist unsere Grundhaltung.“

„Richtiges Denken bedeutet  Ja sagen: Was auch immer geschieht, finde zuerst heraus, ob du Ja sagen kannst. Wenn du nicht Ja sagen kannst, wenn es unmöglich ist, Ja zu sagen, nur dann sage Nein. Unsere normale Methode ist, zuerst Nein zu sagen; wenn es unmöglich ist, Nein zu sagen, nur dann sagen wir Ja und fühlen uns dabei geschlagen.“

„Richtiges Denken bedeutet, zu beginnen, indem man Ja denkt. Es bedeutet nicht, dass du Nein nicht verwenden kannst; es bedeutet nur, mit Ja anzufangen. Schau mit einer Haltung, die Ja sagt. Und dann, wenn es unmöglich ist, sag Nein. Wenn du mit Ja anfängst, wirst du nicht viele Gelegenheiten finden, wo du Nein sagen musst. Wenn du mit Nein beginnst, wirst du nicht viele Gelegenheiten finden, um Ja zu sagen.“

In diesem Sinn Ja zum Leben zu sagen, am Morgen beim Erwachen und bei allen Wechselfällen des Tages, bedeutet einfach, sein eigenes Gefängnis zu verlassen und die Haltung der Liebe einzunehmen.

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339. Die Volxbibel  -  12. August 2015

Gerhild, meine Frau, fährt ab auf die Volxbibel. Ich sagte ihr zwei Sätze, und sofort wollte sie das Neue Testament in dieser Fassung haben. Jetzt liest sie es, in der Version 4.0.

Die zwei Sätze sind:
„Wie geil muss das sein, bei der Party von Gott auf der Gästeliste zu stehen!“ (Lk 14,15.)
„Ein Typ organisierte eine ganz fette Party, echt viele Leute waren eingeladen.“ (Lk 14,16.)

Dem „Vorwort zur Volxbibel“ entnehme ich, dass die Volxbibel anfangs kritisiert, verlacht und sogar bekämpft wurde, dass sie sich aber in allen sozialen Räumen und Altersgruppen durchgesetzt hat. „Die Volxbibel sprengt alle Grenzen, sie überwindet sogar konfessionelle Schranken.“

Die Volxbibel basiert auf dem Mitmachkonzept. Über die Seite wiki.volxbibel.com kann jeder Leser und jede Leserin an dieser Bibel mitschreiben. Und in manchen Pfarren wird sie für den Konfirmanden- bzw. Firmunterricht oder den Kommunionsunterricht verwendet. Gerhild sagte: „Schade, dass es diese Bibel noch nicht gegeben hat, als ich Pfadfinderführerin war.“

„Etwa 2000 User haben nahezu 7 Millionen Seiten im Wiki aufgerufen, bearbeitet und verändert, bis die [Version 4.0 vom Neuen Testament] fertiggestellt war.“ Und die Entwicklung geht weiter. Jeder ist eingeladen, Fehler auszubessern und Formulierungen zu ändern.

Das Grundanliegen der Volxbibel ist es, eine Sprache zu finden, die die Leute berührt und ihr Herz erreicht. Nach dem „Vorwort zur Übersetzung“ ist sie „die erste deutsche Bibel, die zu zeigen versucht, wie Jesus möglicherweise heute geredet hätte, ohne seine Aussagen ins Lächerliche zu ziehen oder ihnen die Schärfe zu nehmen.“ Es ist „das Ziel der Volxbibel, eine möglichst normale Sprache zu sprechen, mit Ausdrücken, wie man sie im Jugendzentrum oder auf dem Schulhof hört.“

Die Volxbibel ist ein Open-Source-Experiment. „Alle Übersetzungsversuche werden ernst genommen und von einem Team von Lektoren und Theologen geprüft. Die besten Vorschläge erscheinen im nächsten Update der Volxbibel.“

Zum Abschluss bringe ich den Schluss der Matthäus-Apokalypse in der Fassung der Volxbibel:
„Und dann werden die auch verwundert sein und fragen: ‚Hey, wann sind wir dir denn schon mal im Leben begegnet, wo du was zu essen gebraucht hast oder einen Pennplatz, oder wann hattest du mal keine Klamotten oder warst im Knast, wo wir dich hätten besuchen können?‘ Dann wird der Oberschiedsrichter antworten: ‚Wenn ihr nicht bereit wart, etwas für den Abschaum dieser Gesellschaft zu tun, wart ihr auch nicht bereit, etwas für mich zu tun.‘ Und sie werden für immer vom Platz gestellt werden, sie werden dafür ewig bestraft werden. Aber diejenigen, die das getan haben, worauf Gott Bock hatte, die werden richtig absahnen, sie werden ewig leben.“ (Mt 25, 44-46.)

Die Volxbibel bietet keine Bearbeitung, die den Sinn antastet, sondern eine Übersetzung, bei der „die Worte die Schärfe und Klarheit des ursprünglichen Textes behalten sollten.“ Damit ist allerdings im Fall der Matthäus-Apokalypse die unverhältnismäßige ewige Bestrafung der sogenannten Bösen festgeschrieben.

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338. Ein spezieller Hund  -  2. August 2015




















Kelda ist ein ganz spezieller Hund. Gerhild und ich haben sie für einige Tage in unserer Obhut. Unsere Tochter Angelika ist mit Mann und den zwei Kindern nach England gereist. Ihren Hund haben sie bei uns gelassen.

Kelda ist ein ganz spezieller Hund. Das beginnt schon bei ihrem Namen. „Kelda“ ist ein altnordisches Wort und bedeutet „Quelle“, „Brunnen“. Gerhild sagt gerne „mein Rehlein“ zu ihr, wegen der Farbe ihres Fells und der Art ihrer Bewegungen.

Kelda ist ein ganz spezieller Hund. Sie hält Abstand, wenn sie will, und sie kommt in die Nähe, wenn sie will. Manchmal will sie nicht angefasst werden und manchmal will sie liebkost werden. Einmal ist sie scheu und ein anderes Mal draufgängerisch. Es ist selbstverständlich für sie, das Liegen auf allen Fauteuils und Sofas auszuprobieren. Und beim Spazieren zieht sie zeitweise wie verrückt, denn sie ist ein Lauftier.

Sehr stark reagiert sie auf die Ausstrahlungen der Menschen. Als sie mir auswich, ging sie mir auf die Nerven, weil ich das von keinem Hund gewöhnt bin. Das spürte sie und wich mir noch mehr aus. Ich dachte mir: „So geht das nicht weiter.“ Ich begann, sie mit neuen Augen zu sehen, und da ging sie mir nicht mehr auf die Nerven. Und siehe da - auf einmal war eine Beziehung von Herz zu Herz entstanden.

Kelda ist ein Hund. Doch was unterscheidet so einen Hund von einem Menschen? Im Umgang mit Menschen ist es genau dasselbe. Mit einer Ausstrahlung „Du gehst mir auf die Nerven“ stelle ich eine reduzierte Beziehungsmöglichkeit in den Raum und färbe alles ein, was ich mit diesem Menschen erleben kann.

Das Einzige, was Beziehungen von Mensch zu Hund und von Mensch zu Mensch fördert, ist nicht das Verwenden einer Farbe, sondern - jenseits von allen Sympathien und Antipathien - das Ausstrahlen reiner Liebe, aus der Quelle, aus dem Brunnen. Kelda.

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337. Weihrauch vom Athos  -  23. Juli 2015

Obwohl es heutzutage fast schon zum guten Ton gehört, jeden zu verhöhnen, der eine Beziehung zur Gottesmutter Maria hat, habe ich ein Marienlied zur Situation in Griechenland geschrieben. Es ist mir heute Morgen in unserem Andachtsraum eingefallen, in dem wir Weihrauch vom Athos verwenden. Zu singen ist es nach der Melodie des volkstümlichen Marienlieds „Meerstern, ich dich grüße“.

Weihrauch vom Athos

Weihrauch, ich dich grüße
Hier im Andachtsraum
Athosdüfte süße
Sprengen diesen Raum
Maria, hilf den Griechen
Aus ihrer tiefen Not

Weihrauch ohnegleichen
Hier im Andachtsraum
Athosdüfte reichen
Weit in jeden Raum
Maria, hilf Europa
Aus seiner tiefen Not

Weihrauch, Tor zum Himmel
Hier im Andachtsraum
Schenk das Licht vom Himmel
Uns in jedem Raum
Maria, hilf der Erde
Aus ihrer großen Not

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336. Ubuntu - eine afrikanische Lebensphilosophie  -  19. Juli 2015

Ubuntu bezeichnet eine afrikanische Lebensphilosophie, die im alltäglichen Leben aus afrikanischen Überlieferungen heraus praktiziert wird. Das Wort Ubuntu kommt aus den Bantusprachen der Zulu und der Xhosa und bedeutet in etwa ‚Menschlichkeit’, ‚Nächstenliebe’ und ‚Gemeinsinn’ sowie die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist.“ (Aus: Wikipedia, Stichwort „Ubuntu (Philosophie)“.)

In Österreich gibt es einen Verein Ubuntu D-A-CH, dessen Ziel es ist, die Ubuntu-Bewegungen im gesamten deutschen Sprachraum zu initiieren, zu vernetzen und zu fördern.

Das Ubuntu-Manifest beschreibt das Ubuntu Contribution System (Ubuntu Mitwirkungssystem) als einen Bauplan für eine neue soziale Struktur. Ich zitiere nun aus diesem Manifest (unter Hinzunahme der englischen Originalfassung).

„Jedes sozialpolitische System, welches die menschliche Rasse jemals hatte, hat für uns auf dramatische Art und Weise versagt. Südafrika, so wie der Rest der Welt, steht nun am Abgrund eines kompletten und vernichtenden finanziellen Super-GAUs mit katastrophalen Folgen für die Menschen.“ Es gibt „keine Möglichkeit für ein gutes Ende für das mit und durch Geld betriebene konsumenten-kapitalistische System.“

Eine neue soziale Struktur kann nur erreicht werden durch „das Zurücknehmen der Macht von den Politikern und Regierungen jeglicher Art, welche komplexe rechtliche Systeme kreiert haben, um ihre eigenen sowie die Interessen und Agenden der multinationalen Firmen, von denen sie unterstützt werden, zu schützen. [...] Es ist ganz offensichtlich und klar, dass die Politiker und multinationalen Gesellschaften das Land seinen Bewohnern gestohlen haben – es ist Zeit, es zurückzunehmen.“

„Die Transformation zum Ubuntu Mitwirkungssystem kann nicht mit einem Schritt geschehen. Es kann nur in einer Anzahl von Phasen oder kleinen Schritten eingeführt werden. [...] Die erste Phase wird die langsame und beständige Dezentralisation der urbanen Dschungel sein, welche sich aus der Jagd nach Geld entwickelt haben. Die Wiederbevölkerung von Dörfern und Kleinstädten quer durch das Land, das Bilden von starken ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinschaften wird das erste Ziel sein.“

Langfristig geht es in diesem Modell um die komplette Verbannung von Geld aus dem System. Damit wird über das Ziel hinausgeschossen, denn es genügt, das Währungsmonopol abzuschaffen und Komplementärwährungen, Regionalwährungen eine rechtliche Basis zu geben. Essenziell wäre es auch, die Börsen abzuschaffen oder durch Gesetze auf Grundfunktionen einzuschränken, die ohne die Bewertung durch Ratingagenturen auskommen. Wer sehnt sich nicht nach einigen der Ziele, die im Fazit des Manifests genannt werden:

Wie man es bewerkstelligen soll, die Macht der Eliten über das Land, das Wasser, die Wälder und die Bodenschätze zu brechen oder die Macht der Börsen und Ratingagenturen zu beenden, darüber verliert das Manifest kein Wort.

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335. Was ich bin bzw. nicht bin  -  13. Juli 2015

Ich bin ein Mitglied der römisch-katholischen Kirche, aber kein Katholik.
Ich bin von Herz zu Herz mit Jesus verbunden, aber kein Christ.
Ich bin als Mensch auf der Erde geboren, aber kein Mensch.
Ich habe ein Ichbewusstsein, bin aber kein Ich.
Ich habe ein Selbstbewusstsein, bin aber kein Selbst, weder ein falsches noch ein wahres Selbst.
Ich bin in Zeiten und Räumen zu Hause, aber auch im Zeitlosen und im Raumlosen.
Ich bin ein Teil der Natur, aber auch ein Teil der Übernatur. Natur und Übernatur sind eins.
Alles ist miteinander verbunden. Nichts ist vorhanden.

Am 15. März 2003 habe ich in der tunesischen Sahara das folgende Gedicht geschrieben:

ich gehe meinen weg
so wie ich will
ich kenn es nicht
doch es kennt mich
das ziel
ich tu mich nicht genieren
ich lass mich nicht beirren
als ausgeburt von liebe
komm ich einst dann
an das ziel

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334. Return again  -  9. Juli 2015

Das ist der Beginn eines Lieds von Shlomo Carlebach. Ich kenne und liebe dieses Lied seit vielen Jahren. Es hat einen schlichten Text, der immer wiederholt wird, und das Englisch ist so einfach, dass ich es hier nicht zu übersetzen brauche:

Return again, return again
Return to the land of your soul
Return again, return again
Return to the land of your soul
Return to who you are
Return to what you are
Return to where you are
Born and reborn again

Auf der Website Songs for the Great Turning, auf der man das Lied auch hören kann, habe ich folgende Erklärung dazu gefunden: „Dieses einfache Lied kann hypnotisch sein, wenn es in einer Gruppe mit Harmonien gesungen wird. Es dient als eine gute Ergänzung zu tiefenökologischer Arbeit und der „Who are you“-Praxis von Joanna Macys Buch „Coming Back to Life“, die uns über verengte Vorstellungen, wer wir sind, woher wir kommen und was durch uns geschehen kann, hinausführen.“ (Übersetzung von Werner Krotz.)

Joanna Macys Buch ist in deutscher Sprache unter dem Titel „Die Reise ins lebendige Leben: Strategien zum Aufbau einer zukunftsfähigen Welt. Ein Handbuch“ erschienen. Viele Informationen zu Tiefenökologie und Joanna Macy findet man auf der Website der Gesellschaft für angewandte Tiefenökologie.

Ich möchte die Tiefe dieses Lieds in keiner Weise schmälern, doch gefällt es mir mit meiner Änderung der letzten Zeile noch besser:

Return again, return again
Return to the land of your soul
Return again, return again
Return to the land of your soul
Return to who you are
Return to what you are
Return to where you are
Loving and loved again

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333. Maria zu lieben  -  5. Juli 2015

Das ist der Beginn eines Marienlieds aus dem 18. Jahrhundert. Als Kind und junger Erwachsener habe ich es noch in der Originalfassung gesungen. Die erste Strophe geht so:

Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn
in Freuden und Leiden ihr Diener ich bin
Mein Herz, o Maria, brennt ewig zu dir
in Liebe und Freude, o himmlische Zier

Friedrich Dörr hat für das „Gotteslob“ 1972 einen neuen Text erstellt. In seiner Version geht die erste Strophe so:

Maria, dich lieben ist allzeit mein Sinn
dir wurde die Fülle der Gnaden verliehn
du Jungfrau, auf dich hat der Geist sich gesenkt
du Mutter hast uns den Erlöser geschenkt

Zu der Gegenüberstellung der beiden Fassungen habe ich folgenden Kommentar gefunden: „Das an erotischer Metaphorik reiche Marienlied geriet in der Neudichtung Dörrs zur christologisch zentrierten Mariologie in gesungener Form: Maria, zuvor begehrenswert und angebetet, ist bibelfest und hausbacken geworden.“ (Aus: Hermann Ühlein, „Kirchenlied und Textgeschichte“, S. 252.)

Hermann Ühlein weist darauf hin, dass das Marienlied in Dörrs Fassung weitgehend auf die Nacherzählung biblisch-historischer Begebenheiten reduziert wird. Darin zeigt sich nach Ühlein der direkte Einfluss des marianischen Schemas aus der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dort wird in Artikel 66 und 67 betont, dass in der Verehrung der Gottesmutter der Sohn richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird und seine Gebote beobachtet werden; die Aufgaben und Privilegien der Gottesmutter beziehen sich immer auf Christus, den Ursprung aller Wahrheit, Heiligkeit und Frömmigkeit.

Heribert Franz Köck hat in der Reihe „Gedanken zu Glaube und Zeit“ am 27. Juni 2015 als Nr. 156 ein „Theologisches und ekklesiologisches Florilegium aus der Enzyklika Laudato Sí“ veröffentlicht. In dieser Arbeit geht er auch auf die Marienverehrung ein und schreibt: „Unerfindlich bleibt auch, warum – wenn, wie der Papst schreibt, Jesus Christus ‚gekommen ist, um uns auf unserem Lebensweg zu begleiten’ (No. 235) – wir noch Maria bitten sollen, ‚dass sie uns hilft, diese Welt mit weiseren Augen zu betrachten’ (No. 241). Ist doch – wie das Zweite Vatikanum betont hat – Jesus Christus unser einziger Mittler (Dogmatische Konstitution über die Kirche ‚Lumen Gentium’, Art. 8). Demgegenüber haben Formulierungen wie ‚Maria, die Mutter, die für Jesus sorgte, sorgt jetzt mit mütterlicher Liebe und mit Schmerz für diese verletzte Welt’ (No. 241), wenig theologische Substanz.“

Gerhild, meine Frau, und ich mögen Maria sehr. Wir beten jeden Morgen den Engel des Herrn und jeden Abend das Salve Regina, beides in meiner Bearbeitung. Maria ist für mich wirklich die „Königin des Friedens“, wie die frühe Erscheinung in Medjugorje gesagt hat. Und ihre Hauptaufgabe ist und bleibt, dass sie die Menschen zu Jesus, ihrem Sohn, führt. Als ein Wesen, das die Verarbeitung seines irdischen Lebens längst abgeschlossen hat und daher als Auferstandenes oder Auferwecktes Raum und Zeit hinter sich gelassen hat und sich mit dem Kosmos und uns allen jederzeit verbinden kann, ist sie mir nicht als Mittlerin, aber als Helferin sehr willkommen.

Jesus ist darüber hinaus der Pantokrator, der alles zur Vollendung führt, bis zum Punkt Omega, von dem Teilhard de Chardin spricht.

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332. Ist Gott der Herr?  -  27. Juni 2015

Gott hat im Tanach, der hebräischen Bibel, Namen und er hat einen Eigennamen. Das ist der Name, den Gott dem Mose vor dem brennenden Dornbusch genannt hat: „‚Ich bin da, weil ich da bin! (...) Das Folgende sollst du zu Israel sagen: JHWH (...) hat mich zu euch geschickt’ (Ex 3,14-15). Im Hebräischen stehen die vier Konsonanten JHWH. Sie lassen die Verben ‚werden’/‚sein’ (hawah) und ‚da sein’/‚existieren’ (hajah) anklingen, ohne den Namen auf eine einzige Bedeutung festzulegen. Der Name Gottes wurde bereits in biblischer Zeit nicht ausgesprochen.“ (Aus: Luise Metzler,Katrin Keita: „Fragen und Antworten zur Bibel in gerechter Sprache“, S. 57.)

Die Bibel in gerechter Sprache bietet die folgenden Lesevarianten für den heiligen Namen an: „Adonaj; die/der Eine; der/die Ewige; die/der Heilige; der/die Lebendige; der Name; GOTT; ha-Schem; ha-Makom; ICH/DU; ER/SIE; Ich-bin-da; Schechina.“ (Ebd., S. 58.) Schechina ist die Gegenwart Gottes als Wohnen in der Welt. Ha-Schem bedeutet „der Name“, ha-Makom „der Ort“. Adonaj bedeutet „meine Herren“.

In meinem 2008 veröffentlichten Buch „Du bist da - Die Psalmen der Bibel in neuer Bearbeitung” habe ich hunderte Male die Anrede „Herr” für Gott verwendet. Die Bibel in gerechter Sprache meint hingegen: „Von Gott als ‚dem Herrn’ zu sprechen, schreibt [...] eine Männlichkeit Gottes fest, die der Bibel selbst nicht gerecht wird.” (Aus: Bibel in gerechter Sprache, S. 1806.)

Davon habe ich mich inspirieren lassen. Ich habe meine Psalmenbearbeitungen durchkorrigiert und die Anrede „Herr” für Gott überall durch etwas anderes ersetzt. Weibliche Formen habe ich dabei allerdings nicht verwendet und auch nicht die Anreden „Adonaj“, „der Name“, „ha-Schem“, „ha-Makom“ und „Schechina“.

In meiner neuen Fassung der Psalmen habe ich Gott wie folgt angeredet bzw. wie folgt über ihn gesprochen: Der Eine; der Ewige; der Heilige; der Lebendige; der Unaussprechliche; der alles Umfassende; der da ist; Gott; Gottheit; er schaut auf; er fördert; er nährt; er lässt nicht zugrunde gehen; er sorgt für; er leitet; er wacht über; er hält alles in der Hand; alles kommt von ihm.

Das Gebet von Bruder Klaus enthält dreimal die Anrede „Mein Herr und mein Gott“. Längst bete ich statt dessen: „Du, mein Gott“.

Meine Endfassung des Gebets von Bruder Klaus befindet sich übrigens in 163. So komme ich zu mir, Ergänzung vom 30. März 2015.

Feedback von Barbara Falke:

Warum hast Du Gott nicht DAS Eine, Ewige, Heilige, Lebendige genannt? Das hätte die Polarisierung zwischen Männlich und Weiblich vermieden. Sicherlich fällt es vielen schwer, Gott als das Unfassbare anzunehmen, aber vielleicht müssen wir genau das lernen?

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331. Nada te turbe - Nichts beunruhige dich  -  20. Juni 2015

Der Titel dieses Bausteins ist der Anfang eines Gebets, das uns von Teresa von Ávila überliefert ist. Das ganze Gebet geht so:









Ich habe dieses Gebet kennengelernt, als ich 2005 in Taizé war. Dort wird ein Teil des Gebets (die 1., 2., 7., 8. und 9. Zeile) im spanischen Original in einem der kurzen, zu Herzen gehenden Gesänge mit vielen Wiederholungen gesungen. In letzter Zeit ist das Gebet als Ganzes für mich sehr wichtig geworden - die letzte Zeile ist es schon lange.

Das Gebet gibt mir einen langen Atem. Und es konzentriert mich darauf, dass Gott, der transzendent und unfassbar ist und doch zugleich immanent tief drinnen in mir, in jedem Menschen und in der ganzen Schöpfung wohnt, der Weltangelpunkt ist, von dem und nur von dem aus alles andere zu verstehen und zu meistern ist, in einem langen Vorgang, der allen Menschen und menschlichen Gemeinschaften aufgetragen ist, auf einem langen Weg, den wir alle gehen müssen, individuell und kollektiv.

Das Gebet gibt Zuversicht, dass wir es schaffen werden, dass wir nicht mit blinden Augen ins Verderben rennen werden.

In einem Gedicht, das ich am 9. Juni 2015 geschrieben habe und das eigentlich ein Gebet ist, habe ich die letzte Zeile des Textes von Teresa von Ávila verwendet. Mein Gedicht, das auch das Staunen darüber enthält, dass man die unbegreifliche und unfassbare Gottheit mit Du anreden kann, geht so:

du bist mehr
als ich mir jemals vorstellen kann
mehr als alle farben und gerüche
mehr als alle geschichten von dir
mehr als ein du
und zugleich bist du ein nichts
völlig entblößt und entleert
der motor von allem
und die absolute ruhe
du bist für alle überraschungen gut
du allein genügst

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330. Gott ist tot  -  10. Juni 2015

Unter diesem Titel habe ich folgenden Text in mein literarisches Tagebuch eingetragen:

Gott hat eine Magenverstimmung.
Er hat sich überfressen an Kohle, Erdöl und Aluminium.
Gott hat Gleichgewichtsstörungen.
Er hat zu viel Radioaktivität um die Ohren.
Gott hat eine Gallenkolik.
Ihm wurden zu viele Bomben und Granaten in den Rachen geworfen.
Gott ist ein Pflegefall.
Leider wird das Krankenhaus Erde andauernd von Spezialeinheiten aller Couleurs überfallen.
Gott ist tot.
Vielleicht bringt er die Menschheit auf diese Weise zur Besinnung.

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329. Der Erde den Rücken kehren?  -  5. Juni 2015

Ich lese gerade zum zweiten Mal das Buch „Der Hass auf den Westen“ von Jean Ziegler. Es beschreibt in eindringlicher Weise die Verbrechen der Kolonisatoren an den von ihnen unterworfenen Völkern. Diese Verbrechen werden bis auf den heutigen Tag fortgesetzt, an Völkern weltweit und an benachteiligten Schichten der privilegierten Völker. Jean Ziegler schreibt: „Aus Sicht der südlichen Völker ist die gegenwärtige globalisierte Ordnung des westlichen Finanzkapitals mit seinen Söldnern der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, den transkontinentalen Privatunternehmen und der neoliberalen Ideologie das letzte und bei Weitem mörderischste der Unterdrückungssysteme, die im Laufe der vergangenen fünf Jahrhunderte vom Westen errichtet wurden.“ (Aus: Jean Ziegler, „Der Hass auf den Westen“, S. 84.)

Jean Paul Sartre schreibt: „Um die Menschen zu lieben, muss man sehr stark hassen, was sie unterdrückt.“ Jean Ziegler führt dieses Zitat an und betont die Wichtigkeit des Wortes „was“. Hassenswert sind nicht Menschen und Nationen, sondern die Unterdrückungsstrukturen, die geistigen wie die materiellen. (Nach: Jean Ziegler, „Der Hass auf den Westen“, S. 21.)

Von einer Änderung der Unterdrückungsstrukturen ist die Menschheit Lichtjahre entfernt. Das führt mich zu der Alternative: Entweder der Erde den Rücken zu kehren oder die ganze Leidenschaft, über Zeit und Raum hinaus, dafür einzusetzen, Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Änderung hervorzurufen. Ich entscheide mich für Letzteres.

In diesem Zusammenhang ist die gängige Religiosität eine oberflächliche Tünche.

(Siehe auch: 272. Menschen ausrotten.)

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328. Fronleichnam und die Welt der Ikonen  -  4. Juni 2015

Heute ist Fronleichnam und in katholischen Pfarrgemeinden geht der Priester unter dem „Himmel“, der ihm Schatten spendet, und trägt die Monstranz, in der sich eine große Hostie befindet. Er geht in einer Prozession, bei der die Kinder Blütenblätter streuen. Als ich um 1980 in Hernals lebte, während die dortige Pfarre das Zentrum der charismatischen Gemeindeerneuerung war, war ich stolz, in der Fronleichnamsprozession durch die Straßen zu gehen und dabei meinen christlichen Glauben zu bekennen. Zu einem genormten christlichen Glauben bekenne ich mich schon lange nicht mehr, aber ich gehöre zu Jesus, dem Auferstandenen und Lebendigen.

Das Fronleichnamsfest bezieht seinen Sinn von der Lehre der Transsubstantiation, die es nur in der römisch-katholischen Kirche gibt. Sie wurde im Jahr 1215 auf dem 4. Laterankonzil in Abwesenheit der Ostkirchen per Dekret festgelegt. „Mit Transsubstantiation wird in der römisch-katholischen Theologie die [...] Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi bezeichnet. [...] Die Substanz (griechisch οσία) ist im aristotelischen Sinne das an sich selbst nicht sinnlich wahrnehmbare Wesen eines Dinges. Die im Blick stehende Wandlung bei der Eucharistie soll eine wirkliche Wandlung sein und betrifft nicht die sinnlich wahrnehmbaren Akzidentien. Denn der Leib Christi erscheint auch nach der Wandlung den Sinnen weiter wie Brot. [...] Aristotelisch verstanden scheint ein Fortbestehen der Akzidentien und somit der äußeren Gestalt bei Veränderung der Substanz nicht möglich, weil Akzidentien von der Substanz, an der sie auftreten, abhängen.“ (Aus: Wikipedia, Stichwort „Transsubstantiation“.)

Die orthodoxe Kirche lehnt die Transsubstantiationslehre ab und kennt das Fronleichnamsfest nicht. In ihr entfaltet die Welt der Ikonen eine andere Art von Spiritualität. „Ikonen und Wandmalereien in orthodoxen Kirchen [...] sind der Versuch, den Himmel auf die Erde zu holen und die Grenzen zwischen Raum und Zeit aufzuheben. In den Ikonen ist der Heilige nicht profan-körperlich präsent, wohl aber auf mystische Weise spirituell. [...] Die Ikonen leiten sichtbar in die unsichtbare wahre Welt über, von der die uns verständliche Welt nur ein winziger Ausschnitt ist. Weil der Heilige in seiner Ikone stets gegenwärtig ist, wird er in Form seiner Ikone bei Prozessionen durch die Gassen, über Felder und in Olivenhaine getragen: Er soll sie an Ort und Stelle segnen.“ (Aus: Klaus Bötig, „Korfu und Ionische Inseln“, S. 66.)

Was hier von den Ikonen der Heiligen gesagt wird, gilt erst recht für die Ikonen des Christus Pantokrator, des kosmischen Christus als Allherrscher, der die Welt zur Vollendung führt. Ich konnte eine Prozessionsikone finden, die auf der einen Seite die Höllenfahrt Christi und auf der anderen Seite den Christus Pantokrator zeigt. Außerdem nimmt der Christus Pantokrator die Mitte von Prozessionskreuzen ein.

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327. Multidimensionalität und Destruktivität  -  25. Mai 2015

Im Wizard-Kurs nach Harry Palmer, an dem ich im Januar 2002 teilnahm, wurde uns eine kleine Übung präsentiert, die in Miami in dem Umfeld mit über 1.000 Übenden leicht zu bewältigen war: das multidimensionale Schauen. Wie ich in 41. Liebe und Multidimensionalität beschrieben habe, geht es darum, sich zurückzunehmen und vom Hinterkopf her ein weitgefächertes Schauen und Hören zuzulassen. Wie ich seither erkannt habe, lässt sich das auf alle anderen Sinnesorgane erweitern und darüber hinaus auf Denken und Fühlen. Es ist sehr erleichternd, nicht bei einem Standpunkt zu verharren, sondern zugleich mit dem Standpunkt, den man gerade einnimmt, eine Anzahl oder sogar Vielzahl anderer Standpunkte im Hintergrund mitzudenken. Und es ist sehr erleichternd, nicht an einem Gefühl oder einer Stimmung zu kleben, sondern von seinem inneren Zentrum her die Gefühle und Stimmungen anderer im Hintergrund mitzuempfinden. Letzteres ist für mich nicht leicht, da ich Gefahr laufe, von einem starken Gefühl, das aus der unmittelbaren Umgebung oder auch aus der Ferne kommt, überschwemmt zu werden. Dann muss ich es fließen lassen, bis es abklingt, bis das ordnende innere Zentrum wieder die Oberhand gewinnt.

Eine multidimensionale Welt von Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen - wer hält denn das aus? Das ist nur möglich von diesem inneren Zentrum her, das in Ruhe ist und vom Veitstanz der Emotionen nicht fortgerissen werden kann.

Seit Jahrzehnten habe ich die grundsätzliche Haltung, alles mit einzubeziehen, nichts auszuschließen, die Haltung der vorurteilsfreien Liebe. Als ich 1972 im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien eine Ausstellung mit Vortrag über den Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry (heute Puducherry) und das internationale Siedlungs-Experiment Auroville organisierte, wollte ich den Verband der kommunistischen Studenten und Studentinnen zum Vortrag einladen. Leider sagte der Vortragende, dann würde er nicht sprechen.

Wer sich auf die Multidimensionalität einlässt, bekommt auch alles Destruktive in den Bereich des eigenen Erlebens hinein. Die Möglichkeiten des Bekämpfens und Vernichtens werden zu den Möglichkeiten des Verwandelns, Heilens und Befreiens. Ich akzeptiere das und verstehe mich als einen Teil des verwandelnden Flusses, ohne den die Menschheit auf der Erde keine Zukunft hätte.

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326. Nulla dies sine linea  -  11. Mai 2015

„Kein Tag ohne Linie!“ Dieser Satz geht auf eine Anekdote über den Maler Apelles zurück, die der römische Gelehrte Plinius der Ältere erzählt: „Apelles hatte übrigens die ständige Gewohnheit, keinen Tag so beschäftigt zu verbringen, dass er nicht mit dem Ziehen einer Linie seine Kunst ausübte, was von daher ins Sprichwort einging.“ (Nach der Liste lateinischer Phrasen in der Wikipedia.)

Den Satz „Nulla dies sine linea“ notierte der Maler Paul Klee 1938 in seinen Œuvrekatalog unter der Werknummer 365, einer Zeichnung mit dem Titel „Süchtig“. In dieser Zeit war er bereits zu krank, um sich der Ölmalerei zu widmen, und so entstanden Tag für Tag Bilder auf Papier: „Das zeichnerische Schaffen wurde zum Tagebuch.“ (Nach einem Ausstellungskatalog von Tilman Osterwold.)

Der Satz „Nulla dies sine linea“ ist nicht nur für Maler, sondern auch für Schriftsteller von Bedeutung. Ich lernte den Satz im Gymnasium im Lateinunterricht kennen und er ist mir seit meiner Jugend in Fleisch und Blut übergegangen. Mit besonderer Freude beachte ich diese Regel seit meinem fünfzigsten Geburtstag im Jahr 1991, als ich ein literarisches Tagebuch zu schreiben begann, in Büchern mit leeren Blättern. In den Büchern sammelten sich Lyrik, Kurzprosa, autobiografische Notizen und Zitate, nicht täglich, aber sehr oft.

Um mich in den nunmehr bereits 27 Büchern zurechtzufinden, habe ich vor einiger Zeit alle Texte, die nicht zu privat oder zu unbedeutend sind, in eine Access-Datenbank eingetragen. Es sind mehr als 3.700. Alle Texte, die ich in der Datenbank als grundlegend für mein Leben gekennzeichnet habe, werden noch in diesem Jahr unter dem Titel „Im Zentrum des Zyklons“ als Buch herauskommen.

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325. Das offenbare Mysterium des Abendmahls  -  3. Mai 2015

Gerhild, meine Frau, und ich sind in Pressbaum, wo wir wohnen, genauso in der römisch-katholischen (oben im Sacré Cœur) wie in der evangelischen Gemeinde zu Hause. Am heutigen Sonntag waren wir beim evangelischen Gottesdienst mit Abendmahl. Es waren besonders viele Leute anwesend, da das sogenannte Küsterhaus als Ort der Begegnung neu adaptiert worden war und ein entsprechendes Fest gefeiert wurde. Als wir alle in einem großen Kreis zum Empfang des Abendmahls dastanden, teilte Irene, die Lektorin, das Brot und damit Christi Leib aus und der Pfarrer reichte den Wein und damit Christi Blut. Irene hatte zu wenig Hostien in der Schale. Als die Schale leer war, ging sie zum Altartisch, zog von unten eine Schachtel heraus und gab einige Hostien in die Schale. Dann stellte sie die Schale auf den Altartisch und segnete sie, indem sie über ihr mit der rechten Hand ein Kreuzzeichen machte.

Das ging wie ein Blitz durch mich hindurch. In diesem Augenblick geschah alles, was man Epiklese (Herabrufung des Heiligen Geistes) oder Konsekration (Vergegenwärtigung des auferstandenen Jesus) nennt. Und ich wusste: Das ist es, was uns Jesus durch alle Zeiten schenkt und was durch konfessionelle Meinungsverschiedenheiten nur verdunkelt werden kann. Denn wie sagt Jesus im Predigttext des heutigen Gottesdienstes? „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“ (Mt 11,25 in der Übersetzung der Lutherbibel.)

Für die „Unmündigen“ - sofern sie Indoktrination und Angst abgeschüttelt haben - gibt es keine Trennung zwischen den Kirchen, es gibt nur eine Kirche und verschiedene Gemeinden.

(Siehe auch: 13. Abendmahl und Eucharistie.)

Feedback von Irene Wallner-Hofhansl:

In dem Glauben, voller Vertrauen, dass Gottes Segen mich „durchwirkt - durch mich wirkt“, bin ich Werkzeug und Mittlerin in einem heiligen Moment.

Feedback von Martha Heizer:

Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten.“ (Joh 15,7.)

Was für eine Zusage! Jesus sagt das in seiner Abschiedsrede, reicht den Becher mit Wein herum und sagt: Tut dies zu meiner Erinnerung! Jedes Glas Wein eine Erinnerung an Jesus? Warum nicht? Und wenn wir bei besonderen Gelegenheiten dabei den Heiligen Geist bitten, diese Gaben zu wandeln, wird dies dann geschehen? Das wird wohl davon abhängen, wie sehr wir „in ihm“ sind und seine Worte „in uns“. Von nichts sonst.

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324. Das Demokratiedefizit der EU  -  30. April 2015

Die Griechenland-Krise, die eigentlich eine Krise der EU, eine Krise des Wirtschafts- und Geldsystems ist, ist im Augenblick ein Dauerbrenner in den Medien. Unter Berufung auf die Presseagenturen APA und Reuters erschien am 28. April 2015 im Internet-Standard ein Artikel mit dem Titel „Warum ein Grexit eine komplizierte Sache ist“. Der Begriff „Grexit“ ist ein 2012 entstandenes Kofferwort, das das mögliche Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone benennt. Unter einem „Grexit by Accident“, kurz „Graccident“, versteht man  seit 2015 einen ungewollten, unfallartigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone.

Der Artikel im Internet-Standard weist nun darauf hin, dass das Ausscheiden irgendeines Staates aus dem Euroraum rechtlich gar nicht möglich ist. Der EU-Vertrag legt nämlich fest, dass die Mitgliedschaft im Euro unwiderrufbar ist. „Im Vertrag von Lissabon von 2007 heißt es in Artikel drei: ‚Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.’ Damit sind alle EU-Staaten an die Einführung gebunden. Nur für Großbritannien oder Dänemark, deren Regierungen mit dem Euro nichts zu tun haben wollen, wurden Ausnahmen gemacht.“

Die Unumkehrbarkeit des Euro ist ein Beispiel für das eklatante Demokratiedefizit in der EU. Der Vertrag von Lissabon, auch Reformvertrag genannt, ist auf undemokratische Weise erarbeitet und eingeführt worden. Die internationale Bewegung ATTAC setzt sich im Rahmen der EU für eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft ein und hat sich entschieden gegen diesen Vertrag ausgesprochen. Die Solidarwerkstatt Österreich ist eine EU-oppositionelle Initiative. In dem Artikel „EU-Reformvertrag - Das verschweigt uns die Regierung“ weist sie auf die folgenden zehn Schwerpunkte des Vertrags von Lissabon hin:

  1. Der EU-Reformvertrag bringt eine Verpflichtung zur dauerhaften Aufrüstung für alle EU-Mitgliedstaaten.
  2. Der EU-Reformvertrag ermächtigt den EU-Rat zu weltweiten Militärinterventionen.
  3. Der EU-Reformvertrag beinhaltet eine militärische Beistandsverpflichtung.
  4. Der EU-Reformvertrag schreibt eine neoliberale Wirtschaftspolitik fest, was zu verschärftem Sozialabbau führt.
  5. Der EU-Reformvertrag unterwirft die öffentlichen Dienste (Wasser, Energie, Gesundheit, Soziales) dem Wettbewerbsrecht des EU-Binnenmarktes.
  6. Der EU-Reformvertrag zementiert die monarchische Stellung der Europäischen Zentralbank ein. Sie darf ausdrücklich keinem Einfluss demokratisch gewählter Organe unterworfen werden. Sie ist auf den unbedingten Vorrang von Hartwährungspolitik vor Beschäftigungspolitik verpflichtet.
  7. Der EU-Reformvertrag setzt die Entmachtung der nationalen Parlamente fort und verpflichtet die EU-Kommission zum Abbau der internationalen Handelshemmnisse.
  8. Der EU-Reformvertrag legt den grundsätzlichen Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht fest. Das Monopol der Gesetzesinitiative bleibt bei der EU-Kommission.
  9. Der EU-Reformvertrag begründet die Möglichkeit, einen inneren Führungszirkel der militärisch mächtigsten EU-Staaten zu bilden.
  10. Der EU-Reformvertrag zementiert den EURATOM-Vertrag ein, dessen Ziel die Entwicklung einer mächtigen Atomindustrie ist.

Die Einführung der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist unumkehrbar. Insbesondere ist ein Ausstieg aus dem Fiskalpakt nicht möglich. EZB und EU-Kommission sind demokratischer Kontrolle entzogen. Die Solidarwerkstatt spricht zu Recht von einem demokratiepolitischen Rückschritt ins 19. Jahrhundert.

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323. Der Tod ist da  -  23. April 2015

Nun, in meinem vierundsiebzigsten Lebensjahr, ist es für mich selbstverständlich geworden, dass der Tod immer da ist.

Ein junger, erst achtunddreißigjähriger Philosophieprofessor namens Martin Heidegger hat in seinem frühen Hauptwerk mit dem Titel „Sein und Zeit“ das Dasein als „Sein zum Tode“ bestimmt. „Das Vorlaufen zum Tod wird so zum Ausgangspunkt für ein selbstbestimmtes, authentisches und intensives – in Heideggers Worten – eigentliches Leben, das sich nicht von der Verfallenheit an das alltäglich-gesellschaftliche ‚Man’ bestimmen und leben lässt.“ (Aus: Wikipedia, Stichwort „Sein und Zeit“.)

Vorlaufen zum Tod? Wohin soll ich denn laufen? Der Tod ist immer da und die Präsenz des jeweiligen Erkennens und Tuns entfaltet sich immer klarer. Daraus ergibt sich Geborgenheit und Gelassenheit. Es kommt zu handfestem Tun und großzügigem Lassen, alles zu seiner Zeit, im unbedingten Vertrauen, dass sich trotz aller Fehler und Schwächen letztendlich alles ordnet.

Damit ist mein Leben als Einzelperson genauso wie das Leben der Menschheit als Ganzes gemeint. Geburtswehen werden nicht zu umgehen sein.

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322. Der griechische Ministerpräsident in Moskau  -  13. April 2015

Am 8. April 2015 stellt Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten fest: „Umstrittener Besuch des griechischen Ministerpräsidenten in Moskau - so hieß es im Deutschlandfunk heute. [...] Ganz selbstverständlich und ohne An- und Abführung: umstrittener. Und dann wundern sich unsere Hauptmedien, dass ein paar wache Köpfe diese kaltblütige Propaganda nicht mehr mitmachen und auf den Foren der Meinungsbildungseliten Kritik üben. Offenbar haben die Hauptmacher der Propaganda nicht einmal mehr eine kleine Ahnung davon, wie eine demokratische Berichterstattung aussehen müsste.“

Konstantin Wecker kommentiert das in Facebook so: „Wie mit Tsipras in unseren Medien umgegangen wird, ist streckenweise nur noch als skandalös zu bezeichnen. Manchmal spürt man so richtig die Angst gewisser Kreise, es könnte sich der griechische Protest und das Wahlverhalten der griechischen Bevölkerung auf andere Länder übertragen, die sich die Zwangsauflagen einer unmenschlichen Wirtschaftspolitik und des verbrecherischen IWF nicht mehr bieten lassen wollen.“

Und in einem Artikel mit dem Titel „Demontage der Demokratie“ schreibt Michael Jäger am 8. April 2015 in der Zeitung „der Freitag“: „Da sie noch immer keine ‚überzeugende Reformliste’ aus Athen bekommen haben will, hält die EU 7,2 Milliarden Euro an Notkrediten, die schon in Aussicht gestellt sind, weiterhin zurück. Auch ein Teilkredit ist nicht drin. Auch nicht einen Tag vor dem Rückzahlungstermin [von 450 Millionen Euro an den IWF]. Wenn aber Tsipras an diesem Tag mit Putin verhandelt, ist das ‚nicht akzeptabel’. Was geht hier vor, wenn nicht, dass Griechenland zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wird? So ging man früher mit Staaten um, die anschließend Kolonien wurden.“

Konstantin Wecker ergänzt in Facebook: „Diese Kolonialisierung betreibt der IWF schon seit Jahrzehnten.“ Und er setzt fort: „Ein kleiner Lichtblick in der dunklen Zeit abhängiger Berichterstattungen ist, dass es noch Medien wie die NachDenkSeiten und den Freitag gibt!“

Griechenland lehnt die Sanktionen der EU gegen Russland ab, die zu Gegensanktionen geführt haben. Auch ich lehne sie ab, wie viele andere Menschen in verschiedenen Ländern der EU, da sie zu wirtschaftlichem Schaden und zum Pflegen von Feindbildern führen.

Über das geistlose Nachbeten der ausgeuferten neoliberalen Propaganda in den Mainstream-Medien erschrecke ich schon länger. Wir haben die Verantwortung, unser Herz und Hirn anders zu verwenden.

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321. Katz-und-Maus-Spiel mit Griechenland  -  13. April 2015

In einem Kommentar vom 6. April 2015 mit dem Titel „Katz-und-Maus-Spiel mit Griechenland“, der im Internet-Standard veröffentlicht wurde, stellt Günter Hager-Madun fest, „dass seit Wochen ein entwürdigendes Katz-und-Maus-Spiel mit Griechenland getrieben wird“. Immer wieder wird eine Reformliste gefordert, die auf die totale Unterwerfung Griechenlands unter die Forderungen von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission hinausläuft. Anstelle dessen wäre es notwendig gewesen, „durch eine einmalige Finanzspritze von zehn Milliarden die nötige Zeit zu gewinnen, um gemeinsam mit EZB, ESM und EIB das vom griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis vorgeschlagene gesamteuropäische Staatsschuldensanierungskonzept zu entwickeln. Einschließlich eines Marshallplan-ähnlichen Wiederaufbauprogramms für die Wirtschaft. Glaubt denn wirklich jemand ernsthaft, ein notleidendes Land wäre in der Lage, Staatsschulden zurückzuzahlen, die 165 Prozent seines BIP betragen? Stattdessen beharren die Eurogruppen-‚Partner’ darauf, dass Syriza die Versprechungen einer Regierung erfüllt, die wegen dieser Versprechungen abgewählt wurde.“

Obwohl die Griechen in der Krise zwischen 45 und 86 Prozent ihres Haushaltseinkommens eingebüßt haben, wurde die Wiederanhebung des Mindestlohns „freiwillig“ zurückgestellt.

„Es geht nicht um die Alimentierung eines kranken Familienmitglieds. Es geht um dessen und die gemeinsame Gesundung. Umso mehr, als die Unterwerfung Europas unter die Vorherrschaft der Finanzoligarchie und Großkonzerne wesentlich zu dieser Erkrankung beigetragen hat. [...] Nützen wir die Chance, der desaströsen Austeritätspolitik ein Ende zu bereiten, indem wir in einem Akt echter Partnerschaftlichkeit die milliardenschweren Steuerschlupflöcher der internationalen Großkonzerne schließen und durch eine realwirtschafts- und gemeinwohlfreundliche Reregulierung aller Märkte das Primat der Politik wiederherstellen.“

„Durch den Wahlerfolg von Syriza ist erstmals in der Geschichte der EU eine Bürgerbewegung zum gleichberechtigten Partner im Europäischen Rat geworden. [...] Wenn Syriza Erfolg hat, wird das Wähler ermutigen, ähnlichen politischen Bewegungen ihre Stimme zu geben.“

Lassen wir uns ermutigen, in allen Ländern!

Feedback von Manfried Faber:

Dein Baustein 321 zeigt wieder einmal mehr: Leider haben wir nicht wirklich eine unabhängige Presse!

Vielleicht kennst Du „KenFM im Gespräch mit: Dr. Daniele Ganser (Dezember 2014)“ noch nicht.

Ergänzung vom 19. Mai 2017:

Wie sich seither herausgestellt hat, ist die Syriza leider zum Sklaven der Geldgeber verkommen.

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320. Panta Rhei  -  7. April 2015

Für den vorsokratischen Philosophen Heraklit von Ephesos ist die Realität dynamisch.

„Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.“ (Fragment 49a.)

„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ (Fragment 91.)

In späterer Zeit führte diese Ansicht zu dem Aphorismus Panta Rhei (griechisch πάντα ῥεῖ, „alles fließt“).

Niemand, der diesen Aphorismus kennt, wird ihn je verstehen, bevor nicht bei ihm selbst alles in Fluss gekommen ist, bevor er nicht bei sich selbst alles fließen lässt.

In einem Gedicht, das ich am 10. November 2001 geschrieben habe, habe ich das so ausgedrückt:

schwimm
im strom des lebens
forme dich
zu kristallen
und lös dich wieder auf
du bist wasser

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319. Unterwirft sich Athen?  -  26. März 2015

Dem Attac Österreich Newsletter vom 23. März 2015 entnehme ich, dass das griechische Parlament am 18. März ein Gesetz zur Bekämpfung der humanitären Krise verabschiedet hat:

Drei Tage später folgte ein Gesetz, das Steuerschuldnern ermöglicht, ihre Schulden in bis zu 100 Raten zu bezahlen. Steuerzahlern, die bis Ende März ihre Schulden begleichen, werden Bußgelder und Verzugszinsen erlassen.

Bis Ende März will die griechische Regierung außerdem ein Gesetz vorlegen, das die Erhöhung des monatlichen Mindestlohns in zwei Stufen bis zum Sommer 2016 vorsieht.

Premierminister Tsipras sagte am 18. März im Parlament: “Wiederaufbau und Umstrukturierung des öffentlichen Dienstes, die Wiederankurbelung der Wirtschaft, der Wiederaufbau des öffentlichen Rundfunk- und Fernsehsenders ERT und die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit folgen.” (Aus: “Sie machen uns keine Angst”, www.kommunisten.de, 22. März 2015.)

Kann die Regierung Tsipras das alles schaffen? Der Attac Österreich Newsletter enthält einen Hinweis auf den Artikel “Die Unterwerfung Athens ist ein verheerendes Signal” von Harald Schumann, der am 16. März 2015 in der Zeitung Der Tagesspiegel erschien. In dem Artikel wird zusammengefasst: “Was immer Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis vorschlugen, wiesen ihre ‚Partner’ aus der übrigen Euro-Zone zurück. Eine europäische Schuldenkonferenz, die über nachhaltige Lösungen für alle überschuldeten Krisenländer verhandelt? Abgelehnt. Eine Koppelung des griechischen Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum, wie sie auch der Ökonom Marcel Fratzscher vorschlägt, der als Chef des DIW die Bundesregierung berät? Abgelehnt. Ein Überbrückungskredit für vier Monate, der es der Athener Regierung ermöglicht, fällige Schulden zu bedienen und ihr eigenes Reformprogramm auf den Weg zu bringen, das nicht wie das alte auf die Entrechtung der Schwachen und die Begünstigung der Reichen setzt? Abgelehnt. Die Aufhebung rechtswidriger Massenentlassungen und ein Stopp des Ausverkaufs von Staatseigentum zum Schleuderpreis an Oligarchen und ausländische Konzerne? Abgelehnt.” Das bisherige Programm soll einfach fortgesetzt werden. Die “geschlossenen Verträge” und “vereinbarten Regeln” sollen eingehalten werden.

Harald Schumanns Einschätzung: “Die Verwalter der Euro-Krise fürchten den Erfolg einer linken Regierung offenkundig mehr als die milliardenschweren Verluste auf ihre Kredite, die das Scheitern der Regierung Tsipras ihnen zwangsläufig bescheren wird. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen. Auch in Spanien, Portugal und sogar in Irland könnten linke Basisbewegungen bei den dort anstehenden Wahlen die Mehrheit gewinnen.”

Wenn die Regierung Tsipras mit ihrem Programm scheitert, werden nach Harald Schumanns Meinung in der ganzen EU Parteien am rechten Rand die Hauptnutznießer sein.

Eines halte ich für sicher: Wenn es gelingt, Athen zu unterwerfen, wird die Verarmung auch die sogenannten Überschussländer wie Deutschland und Österreich treffen. Anzeichen dafür gibt es jetzt schon genug.

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318. Stille  -  23. März 2015

Ich habe viele Vergangenheiten. Eine davon ist meine Vergangenheit mit Osho, den ich nie kennengelernt habe.

Mit Osho meine ich Chandra Mohan Jain, der in der Wikipedia als indischer Philosoph und Begründer der Neo-Sannyas-Bewegung beschrieben wird. Er diktierte selbst seine Grabinschrift: „Nie Geboren – Nie Gestorben – Nur zu Besuch auf diesem Planeten vom 11. Dezember 1931 bis zum 19. Januar 1990“.

Als er „Osho“ als seinen Namen akzeptierte, erklärte er, „dass es von William James ‚ozeanisch’ hergeleitet ist. ‚Es ist nicht mein Name’, sagte er, ‚es ist ein heilender Klang. [...] Ozeanisch beschreibt die Erfahrung, aber was ist mit dem Menschen, der diese Erfahrung macht? Für ihn benutzen wir das Wort Osho.’“ (Aus: „Wer ist Osho?“.)

Es ging ihm also nicht darum, sich selbst als den Osho, den Lehrer, für alle festzuschreiben. Er rief vielmehr alle dazu auf, den heilenden Klang im Universum zu hören, die ozeanische Erfahrung selbst zu machen, ohne Selbst. Das bedeutet nicht, in der Stille zu versinken, die Menschheit dem Untergang zu überlassen, sondern im Gegenteil, diese innere Stille überallhin mitzunehmen, wohin man geht, aus dieser inneren Stille heraus zu agieren bei allem, was man tut. Und das ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Es ist ein Prozess der Heilung der Menschheit auf der Erde, wenn genügend Menschen davon berührt werden.

Da ich den Newsletter der englischsprachigen Osho-Bewegung abonniert habe, wurde ich vor einiger Zeit eingeladen, an dem kostenlosen Meditationsprogramm für Leute, die keine Zeit zum Meditieren haben, teilzunehmen. Es begann am 13. März und dauert 21 Tage. Heute ist der 11. Tag. Aufbauend und aus vielen Blickwinkeln wird in diesem Programm auf die ozeanische Stille hingearbeitet, die man nur dann erfahren kann, wenn man nicht ängstlich an den Worten hängt, sondern total vom eigenen Leben und dem eigenen Lebensgefühl her kommt.

Und das tue ich.

(Siehe auch: 299. Mein Name Devadas.)

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317. Gott ist abstrakt und konkret  -  17. März 2015

Im Jahr 2008 ist mein Buch „Du bist da - Die Psalmen der Bibel in neuer Bearbeitung“ erschienen. In diesen Tagen habe ich meine Psalmen wieder durchgesehen und für eine zweite Auflage, die vielleicht einmal erscheinen wird, auf den letzten Stand meiner inneren Erkenntnisse gebracht. Dabei wurde ich daran erinnert, dass die Psalmen die lebhafte und leidenschaftliche Auseinandersetzung der Autoren mit Gott sind, dem einen und einzigen Gott, der nach ihrer Überlieferung dem Mose gesagt hat: Ich bin; ich bin da; ich bin für euch da.

Gott ist unabhängig von allem, was ist. In diesem Sinn entspricht er der Zahl Null.

Gott ist überall in der Welt gegenwärtig. In diesem Sinn entspricht er der Zahl Unendlich, der Lemniskate.

Thomas M. Waldmann hat in seinem Buch „Die Gottesformel - Grundlagen des Denkens im 3. Jahrtausend“ die folgende Gottesformel aufgestellt: 0 mal ∞ = 1

Dazu passt ein Grundgedanke des Nikolaus von Kues, der im 15. Jahrhundert gelebt hat: „Gott ist die absolute Einheit, in der alle Gegensätze zusammenfallen, und zwar so, dass sie jenseits aller Gegensätzlichkeit koinzidieren. Bewegung und Ruhe, Ja und Nein, Gestern und Morgen, Hier und Dort sind in Gottes unendlicher Einheit identisch. In diesem Sinne muss man sagen: In Gott ist alle Möglichkeit zugleich Wirklichkeit. Diese absolute Wirkmacht versucht Cusanus mit seiner berühmten Wortschöpfung possest zu beschreiben. Einfach gesagt: Gott kann (posse) nicht nur alles, sondern er ist (est) auch gleichzeitig das, was er kann. [...] Gott ist ‚Können-Ist’.“ (Aus: Andreas Mussenbrock, „Termin mit Kant: Philosophische Lebensberatung“.)

Gott ist abstrakt und konkret zugleich. Als abstraktes in die Existenz rufendes Prinzip kann er gedacht werden. Als konkrete in die Existenz eingreifende Wirkmacht kann er geliebt werden.

Mein Bewusstsein sagt mir: Wenn ich sterbe, so sterbe ich radikal und ganz. Dennoch ist in mir ein Leben, das mit dem Tod nicht endet. Auch hier fallen die Gegensätze zusammen.

Paulus von Tarsus sagt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel im Rätsel, dann aber Angesicht zu Angesicht; jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich ganz erkennen, gleichwie auch ich ganz erkannt wurde.“ (1 Kor 13,12; Münchener Neues Testament.)

Demgegenüber vermute ich, dass ich nach meinem Tod Gott nicht von Angesicht zu Angesicht sehen und ganz erkennen werde. Das wäre ja kontraproduktiv. Die Horizonte, die Gott mir schenkt, werden auch nach Wegfall von Zeit und von dem, was wir uns unter Ewigkeit vorstellen, nicht ausschöpfbar sein.

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316. Erheben wir uns!  -  9. März 2015

Konstantin Wecker leitet seinen Weblog-Eintrag „Die falschen Freunde“ vom 13. 4. 2014 mit folgenden Sätzen ein: „Die neoliberale Ideologie ist eine menschenverachtende, rücksichtslose Weltanschauung, die, wenn wir nichts dagegen unternehmen, unsere Gesellschaft noch brutaler, als bisher schon geschehen, spalten und entsolidarisieren wird. Die Arbeitnehmer werden entrechtet, soziale Errungenschaften werden in die Barbarei zurückgestuft, schon jetzt zerbrechen in Europa Tausende täglich an der Bereicherung der Konzerne.“

In Griechenland gibt es seit dem 27. Januar 2015 eine neue Regierung, die es wagt, mehr für die eigene Bevölkerung da zu sein als für ruinöse Sparmaßnahmen. EU-Kommission und EZB bestehen demgegenüber darauf, dass die Reformauflagen des Hilfsprogramms eingehalten werden. Ein grundsätzlich neues Denken ist dringend erforderlich. Der griechische Finanzminister Varoufakis versucht, Schritte in diese Richtung zu gehen und handelt stellvertretend für uns alle, nicht nur für die Griechinnen und Griechen.

Die Ereignisse in Griechenland, denen bald schon ähnliche Ereignisse in anderen EU-Ländern folgen könnten, rufen uns zu massiver Unterstützung auf. Was können wir tun?

Stéphane Hessel hat im Jahr 2010 im Alter von 93 Jahren die Streitschrift „Empört euch!“ veröffentlicht. Der Essay ruft zu gewaltlosem, jedoch entschlossenem Handeln auf. Er schließt mit den Worten: „Den Männern und Frauen, die das 21. Jahrhundert gestalten werden, rufe ich aus ganzem Herzen und in voller Überzeugung zu: ‚Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.’“

Kai Mommsen ruft die Menschen auf seiner Website www.zukunftsarchitekten.de auf:

„ERHEBEN WIR UNS!
Gegen die Kriegspolitik der USA und [der NATO]
gegen die Austeritätspolitik, die nur den Banken dient
gegen die Lügen der Medien
gegen die Vergiftung unserer Umwelt und unserer Lebensmittel
gegen die Herrschaft die Finanzmärkte
gegen die Totalüberwachung

für eine gerechte Wirtschaftsordnung ohne Profitzwang
für selbstbestimmtes Leben ohne Ausbeutung
[...]
für ein harmonisches Verhältnis mit der Natur!“

Ich wiederhole: Was können wir tun? Wir, die wir mit dem Herzen bereit sind, uns selbst und die Lebensbedingungen auf der Erde zu ändern?

Friedensmahnwachen gibt es seit dem 17. März 2014 an vielen Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie finden zumeist montags statt und sehen sich in der Tradition der Montagsdemonstrationen 1989/1990 in der DDR. Für Wien gibt es derzeit eine Facebook-Veranstaltung, die zu Mahnwachen von 2. März bis 1. Juni 2015 einlädt, jeweils montags um 18 Uhr 30 vor dem Parlament. Zu diesen Mahnwachen ruft „eine Bürgerbewegung für den Frieden auf, in der alle Menschen herzlich willkommen sind, die eine friedliche, demokratische Gesinnung haben.“ Der Bewegung geht es darum, den Krieg zu verhindern, der sich im Ukrainekonflikt anbahnt, aber auch Alternativen zum heutigen weltweiten Geldsystem zu propagieren, das den Frieden bedroht. Man trifft sich in einer gewaltlosen Versammlung ohne politische oder ideologische Einfärbung. Dabei distanziert man sich von jeglichem rechts- oder linksextremen, rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben oder frauenfeindlichen Gedankengut, sowie von jeder anderen extremen und intoleranten Ideologie. (Nach: www.friedensmahnwachen.at.)

Friedensmahnwachen müssten zu einer Massenbewegung werden, um Mächtige zu beeindrucken. Nur dann könnten sie etwas ins Rollen bringen.

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315. Der Tod ist die Wegbiegung  -  27. Februar 2015

Als Ulrike Kaufmann, die Mitbegründerin des Wiener Serapions-Ensembles, am 19. Dezember 2014 einem schweren Leiden erlag, versandte das Odeon-Theater eine Mitteilung, die ein Gedicht des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa in folgender Übersetzung enthielt:

Der Tod ist die Kurve an einer Straße.
Das Sterben entrückt nur dem sehenden Sinn.
Lausch ich, hör ich deine Schritte
Dasein wie ich selber bin.

Die Erde ist aus Himmel geschaffen.
Die Lüge hat kein Geheg.
Niemand ging jemals verloren.
Alles ist Wahrheit und Weg.

Das potugiesische Original lautet:

A morte é a curva da estrada,
Morrer é só não ser visto.
Se escuto, eu te oiço a passada
Existir como eu existo.

A terra é feita de céu.
A mentira não tem ninho.
Nunca ninguém se perdeu.
Tudo é verdade e caminho.

Die wörtliche Übersetzung ist daher:

Der Tod ist die Kurve der Straße,
Sterben ist nur nicht gesehen werden.
Wenn ich lausche, hör ich dich im Vorübergegangenen
Da sein, wie ich da bin.

Die Erde ist aus Himmel gemacht.
Die Lüge hat kein Nest [keine Höhle].
Niemals war niemand verloren [wurde niemand aufgegeben].
Alles ist Wahrheit und Weg.

Ich wandle das um, ohne Reime zu suchen:

Der Tod ist die Biegung des Weges.
Wer stirbt, entzieht sich unserem Blick.
Ich hör dich in dem, was vorbei ist
Da sein, wie ich selbst da bin.

Die Erde ist aus Himmel gemacht.
Die Lüge hat keine Bleibe.
Niemals ging jemand verloren.
Alles ist Wahrheit und Weg.

Jeder Satz dieses Gedichtes trifft mich ins Herz. Eine Erklärung, die über diese Sätze hinausgeht, ist nicht erforderlich.

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314. Die drei Zufluchten  -  23. Februar 2015

Nach dem österreichischen Religionsgesetz kann man nur einer Religionsgemeinschaft angehören. Da ich Mitglied der römisch-katholischen Kirche bin, kann ich nicht zugleich Mitglied der Evangelischen Kirche A.B. sein, obwohl ich mich ihr freundschaftlich verbunden fühle. Da ich Mitglied der römisch-katholischen Kirche bin, kann ich nicht zugleich Mitglied der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft sein, obwohl ich mich ihr freundschaftlich verbunden fühle.

Es gibt Erlebnisse, die mich in ein mehr und mehr überkonfessionelles Christentum eingebettet haben. Und es gibt Erlebnisse, die mich in einen mehr und mehr über den Gruppen stehenden Buddhismus eingebettet haben.

Am 7. Februar 1993 habe ich folgende Eintragung in mein literarisches Tagebuch gemacht:

Ganz wesentlich sind für mich die vier Bodhisattva-Gelübde, die im Mahāyāna sowohl von Mönchen als auch von Laienanhängern abgelegt werden. Besonders das erste dieser Gelübde macht klar, warum Jesus im Buddhismus als ein Bodhisattva angesehen wird. Diesen Gelübden habe ich mich schon vor längerer Zeit verpflichtet, ohne Zeugen, nur für mich allein, und jetzt kann ich sagen, dass diese Verpflichtung endgültig und auf Dauer ist.

Ich fühle mich von den Bodhisattva-Gelübden sehr betroffen und gemeint. Das liegt sicher daran, dass hier die gesamte Wirklichkeit enthalten ist, dass alles eingeschlossen wird, dass keine Ausnahmen gemacht werden, keine Möglichkeit zur negativen Projektion offen bleibt.

Bei dieser Selbstverpflichtung ist es geblieben. Meine Arbeit mit den Bodhisattva-Gelübden ist lebendig und auf Dauer.

Auf der Website der ÖBR wird die Frage beantwortet, wie man Buddhist/-in wird: „Durch die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen - zum Buddha, zum Dharma und zum Sangha - ist man Buddhist/-in.“

Dabei ist zu beachten: „Das innere Bekenntnis zum Buddhismus ist selbstverständlich die freie Entscheidung jedes einzelnen Menschen. Von dieser bekenntnismäßigen Zugehörigkeit ist jedoch die Mitgliedschaft zur Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft zu unterscheiden.“

Nun frage ich mich: Welches innere Bekenntnis, welche Zufluchtnahme ist mir angemessen?

Zum ersten Juwel:

Es geht um die Verbundenheit von Herz zu Herz. Das japanische Ishin-Denshin meint die Verständigung von Herz-Geist zu Herz-Geist, betont also die Einheit von Herz und Geist. Bei mir gibt es die Verbundenheit von Herz zu Herz mit Jesus und mit seiner Mutter Maria. Auch mit Gerhild, meiner Frau, bin ich von Herz zu Herz verbunden, und ebenso mit Siddhārtha, dem historischen Buddha. Die Verbundenheit von Herz zu Herz ist das Ideal der Beziehungen zwischen allen Wesen, menschlichen und nicht-menschlichen, und ich versuche, diesem Ideal in meiner Realität immer näher zu kommen.

Zum zweiten Juwel:

Vereinfacht gesprochen ist Dharma im Buddhismus einerseits die Lehre des historischen Buddha, im Mahāyāna darüber hinaus die Lehre der großen Bodhisattvas und Meister. Andererseits ist die innere Wahrheit von allem, was existiert, gemeint.

„Glaube nicht an Überlieferungen, weil sie alt und durch viele Generationen bis auf uns gekommen sind; [...] glaube nichts auf die bloße Autorität deiner Lehrer und Geistlichen hin. Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstimmt und deinem Wohl und Heil wie dem aller anderen Wesen dient, das nimm als Wahrheit an und lebe danach.“ (Anguttara Nikāya I,174.)

Die Anguttara Nikāya ist die vierte Sammlung des Sūtra-Pitaka, enthält also der Tradition nach vom historischen Buddha stammende Lehrreden. Wahrheit muss jedoch immer im Fluss sein. Nichts, was vom historischen Buddha oder von großen Meistern stammt, darf als endgültige Wahrheit festgehalten werden. Nichts von dem, was meiner eigenen Erfahrung entspricht und in meinen Büchern und Bausteinen aufgeschrieben ist, darf ich als endgültige Wahrheit festhalten.

Zum dritten Juwel:

Der Sangha ist die buddhistische Gemeinschaft, in einem weiteren Sinn die spirituelle Gemeinschaft. Zum Sangha gehören Bhikshus und Bhikshunis, Upasakas und Upasikas (Mönche, Nonnen, Männer und Frauen im Weltleben). Der Sangha ist in den Orden, Gruppen und Instituten aller Richtungen des Buddhismus gegeben.

In meinem Buch „Osternacht der Menschheit“ habe ich im Kapitel „Weltbewusstsein und Weltgemeinschaft“ den von Thich Nhât Hanh in Saigon im Februar 1966 als spirituelle Widerstandsbewegung gegen den Vietnamkrieg gegründeten Orden Intersein (Tiêp Hiên auf Vietnamesisch, Interbeing auf Englisch) vorgestellt, der von Anfang an eine Gemeinschaft von Nonnen, Mönchen und Laien war. Dieser Orden hat eine Niederlassung in Österreich, die Intersein Sangha Salzburg.

Das Wort „Interbeing“ ist ein neu geschaffenes Wort, genauso wie die deutsche Übersetzung „Intersein“. Nach dem Glossar auf www.intersein.de bedeutet es: „Wechselseitiges Verwoben- und Abhängigsein von allem mit allem anderen.“

Die Weite des Ordens Intersein spricht mich sehr an und ist für mich ein Modell für allgemeinmenschliche Beziehungen. Ich wohne in der Nähe von Wien und habe mit der Niederlassung in Salzburg keinen persönlichen Kontakt. Doch am heiligsten buddhistischen Fest, dem Vesakh-Fest, an dem man der Geburt, des vollkommenen Erwachens und des Todes des historischen Buddha gedenkt, werde ich im Mai teilnehmen, bei der Friedenspagode in Wien.

(Siehe auch: 195. Meine Arbeit mit den Bodhisattva-Gelübden.)

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313. Massentiersterben geht weiter  -  14. Februar 2015

Am 8. Januar 2015 haben die Netzfrauen einen Artikel mit folgendem Titel ins Internet gestellt: „Massentiersterben geht weiter: Ungeklärtes Massensterben von Vögeln, Fischen, Seesternen usw.“ Der Artikel von Doro Schreier beginnt mit den Worten: „Weltweit kommt es immer wieder zu einem Massensterben von Meerestieren. Allein 2014 wurden 649 Fälle von Massentiersterben in 76 Ländern bekannt. Auch 2015 geht das Massentiersterben weiter.“ Ich hebe nun einige wenige Beispiele hervor.

An der Pazifikküste der USA sind in den vergangenen Jahren mehrere Millionen toter Seesterne angeschwemmt worden, die auch Arme verloren. Ein Virus könnte die Ursache sein. „Die dortigen Wissenschaftler sind besorgt, dass die Seesterne aussterben könnten. Das Aussterben der Seesterne hätte gravierende Folgen für das ökologische Gleichgewicht.“ Einer der Forscher beschreibt die Symptome: „Die Tiere werden erst lethargisch und dann fallen sie praktisch auseinander, bis nur noch ein Haufen Schleim auf dem Meeresgrund übrig bleibt.“

Am 1. April 2014 sind im Mittelmeer zehn Cuvier-Schnabelwale gestrandet. Zur gleichen Zeit hatten die israelische, die griechische und die US-Marine ein See-Manöver unter Verwendung von Sonar durchgeführt. Im selben Gebiet war die Cuvier-Schnabelwal-Population bereits mehrfach durch Sonar-Einsätze  der NATO und anderer Seestreitkräfte stark dezimiert worden, zuletzt im November 2011 und im Dezember 2013.

Die Gesellschaft zur Rettung der Delfine veröffentlichte im Oktober 2003 einen Bericht mit dem Titel: „Militärsonar tötet Wale und Delfine“. Nach diesem Bericht strandeten im September 2002 vierzehn Cuvier-Schnabelwale  auf den Kanarischen Inseln unmittelbar nach einem unter spanischem Kommando im angrenzenden Seegebiet abgehaltenen Marinemanöver. Britische Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Tiere durch das von den Kriegsschiffen eingesetzte Unterwasser-Sonar starben. Das Sonar löst bei Walen die sogenannte Taucherkrankheit aus und tötet sie dadurch.

Das Projekt Walschutzaktionen - ProWal weist darauf hin, dass jährlich trotz vorsichtigen Schätzungen mehr als 300.000 Wale und Delfine ums Leben kommen, durch Plastikmüll, Giftmüll, Klimawandel, als Beifang der Fischerei-Industrie und durch Lärm. „Immer mehr zu beobachten sind Massenstrandungen von ganzen Walherden. Da Wale über ein sehr differenziertes Gehör verfügen, gilt es als ziemlich sicher, dass der Lärm von Schiffen, militärischen Sonaranlagen und Windkraftanlagen auf dem Meer die Wale bei ihren Wanderungen irritieren und sie deshalb die Orientierung verlieren. Unterwasserschallkanonen, die lauter sind als ein Düsenflugzeug, werden von Wissenschaftlern und der Erdölindustrie eingesetzt, um neue Ressourcen zu erkunden.“

Patricia Cori hat im Jahr 2011 ein Buch veröffentlicht, dessen deutsche Übersetzung ich gelesen habe: „Bevor wir euch verlassen - Botschaften der Wale und Delfine an die Menschen“. „Aufgrund ihrer Liebe zu den Meeressäugern verbrachte sie viele Stunden auf See, wo sie die Nähe der Wale suchte und mit frei lebenden Delfinen schwamm.“ (S. 205.)

Patricia Cori wurde zu ihrer eigenen Überraschung von den Walen und Delfinen im übersinnlichen Bereich zu Hilfe gerufen. Sie erlebte das Leiden der Tiere hautnah mit, als am 22. November 2008 in Tasmanien vierundsechzig Wale an die Küste gespült wurden, und ebenso eine Woche später, als hundertfünfzig Grindwale in Tasmanien strandeten, und wieder, als am 2. März 2009 in Tasmanien hundertfünfzig tote oder sterbende Pilotwale und Delfine am Strand gefunden wurden.

Da man keine Ursache finden konnte, berichteten Medien, das Geschehen sei einem Massenselbstmord ähnlich. „Die mächtigen Wale und ihre Verwandten, die Delfinwesen, begingen massenweise Selbstmord, hatten ihre Lebensfreude verloren, waren nicht länger willens, die Ozeane unseres wunderschönen Planeten Erde zu durchstreifen, die sie nur Stunden zuvor mit der göttlichen Musik der uralten Sirenen erfüllt hatten.“ (S. 14.)

Patricia Cori sagt: „Ich weiß, dass wir ihre Auslöschung verhindern können, auch wenn im Moment alles auf ihr Aussterben hinauszulaufen scheint.“ (S. 17.)

Große Tümmler verfügen über anspruchsvolle Systeme der Kommunikation und Kooperation. Wir sollten die Wale und Delfine nicht bloß als vom Aussterben bedrohte Tierarten sehen, sondern als hoch entwickelte Wesen, die mit großer Wertschätzung zu behandeln sind.

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312. Weltuntergangsuhr neu gestellt  -  6. Februar 2015

Am 23. Januar 2015 hat IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) eine Pressemitteilung mit dem Titel „Weltuntergangsuhr: Nur noch drei Minuten vor Zwölf“ versendet. „Der Vorstand der weltrenommierten Zeitschrift ‚Bulletin of Atomic Scientists’ (BAS) hat die sogenannte Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) neu gestellt: Es ist jetzt drei Minuten vor Zwölf. [...] Die Begründung der Uhrumstellung: Der Klimawandel und das neue atomare Wettrüsten bedrohen das Leben auf der Erde in einem neuen Ausmaß.“

Während wir einen Stillstand in der Abrüstung erleben, existieren massive Programme zur Atomwaffenmodernisierung, die ein neues atomares Wettrüsten zur Folge haben. „So steht etwa der Vertrag zur Beseitigung von nuklearen Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) auf der Kippe, die beschlossene Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten ist nicht zustande gekommen und die Atomwaffenstaaten widersetzen sich dem Engagement der Nicht-Atomwaffenstaaten, die humanitären Folgen von Atomwaffen auf die Tagesordnung zu setzen.“

Zugleich gibt es immer mehr Forderungen nach dem Bau weiterer Atomkraftwerke als vermeintlicher Energiequelle mit weniger CO-Emissionen.

Die globalen Folgen eines regionalen Atomkrieges wären verheerend. Das IPPNW-Factsheet „Regionaler Atomkrieg = globale Hungersnot“ bringt dazu ein Beispiel: „Ein regionaler Atomkrieg mit weniger als 100 Atomwaffen zwischen Indien und Pakistan würde eine signifikante weltweite Klimaänderung verursachen. Der Rauch der Feuerstürme, die in den durch Atombomben getroffenen Städten entstünden, würde in die höhere Troposphäre steigen und zu einer Erwärmung der Atmosphäre führen, durch die der Rauch weit in die Stratosphäre hinauf getrieben würde. Die dabei entstehende Rußwolke würde die Sonne verdunkeln und zu einer signifikanten Abkühlung und einem Rückgang der Niederschläge führen.“

Abgesehen von den regionalen Verwüstungen und Verstrahlungen wäre eine zehnjährige globale Hungersnot die Folge, von der mehr als eine Milliarde Menschen betroffen wären.

Die Wissenschaftler rufen zu robusten Anstrengungen von Regierungen und von allen Bürgerinnen und Bürgern auf, Atomwaffen zu verbieten. Nur so könne „das rapide sich schließende Fenster der Gelegenheit“ noch genutzt werden, um die Welt zu retten.

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311. Und bleiben eine Jungfrau rein  -  30. Januar 2015

In einem Gottesdienst, an dem ich unlängst teilnahm, sangen wir das alte Wallfahrerlied „Der Engel des Herrn“. Die erste Strophe geht so:

„Der Engel des Herrn aus Gottes Macht
hat Maria die Botschaft bracht.
Sie soll die Mutter Gottes sein
und bleiben eine Jungfrau rein.“

Die Bezeichnung „Mutter Gottes“ für Maria kommt im 1. Kapitel des Lukasevangeliums, in dem der Engel Gabriel der jungen Frau die Geburt Jesu ankündigt, nicht vor. Sie wurde vielmehr erst im 5. Jahrhundert in der Auseinandersetzung zwischen Kyrill und Nestorius festgeschrieben. Aber darum geht es mir jetzt nicht.

Das Lied bringt zum Ausdruck, dass Maria, obwohl sie ein Kind empfangen und geboren hat, eine Jungfrau geblieben ist. Aber darum geht es mir jetzt nicht.

Der Text sagt, dass sie als Jungfrau rein ist. Wäre sie denn sonst nicht mehr rein? Die Tora sagt dazu: „Eine Wöchnerin ist nach der Geburt eines Jungen sieben und nach der Geburt eines Mädchens vierzehn Tage unrein; nach einer weiteren Frist von 33 (bei einem männlichen Kind) bzw. 66 (bei einem weiblichen Kind) Tagen, in der sie sich zu Hause aufzuhalten hat, muss sie vom Priester ein Brand- und ein Sündopfer darbringen lassen, um ihre Reinheit definitiv wieder herzustellen (Lev 12,6-8).“ (Aus: Beate Ego, „Reinheit / Unreinheit / Reinigung (AT)“, April 2007.)

Maria als Mutter und Jungfrau zu sehen, ist das nicht eine Quelle zu einem gestörten Verhältnis zur Sexualität? Dieses gestörte Verhältnis entspricht der hebräischen Bibel nicht. Sie ist „zutiefst geprägt von einem ganzheitlichen Menschenbild. Sexualität stellt hier ganz selbstverständlich einen integralen Bestandteil des Menschseins dar.“ Ein besonderes Beispiel ist das „Lied der Lieder“. „Leidenschaftliche Küsse, innige Umarmungen, feuchte Lippen – das alttestamentliche Hohelied spricht eine überaus erotische Sprache. Hier verleihen eine Frau und ein Mann ihrer Liebe, ihrer Lust schwärmerisch, sinnlich und bildreich Ausdruck.“ (Nach: Yvonne Sophie Thöne, „Liebe, Lust und Macht - Sexualität in der Bibel“, gefunden auf www.academia.edu.)

Maria als Mutter und Jungfrau zu sehen, ist das nicht eine Quelle zur Abwertung aller anderen Frauen? In der römisch-katholischen Kirche sind Frauen den Männern bis zum heutigen Tag nicht gleichgestellt.

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310. Buddhistisches Gebet  -  23. Januar 2015

Am 17. Januar 2015 fand im buddhistischen Fo-Guang-Shan-Tempel in Wien ein multireligiöses Neujahrsgebet für den Weltfrieden statt, gemeinsam mit wichtigen Vertretern der Weltreligionen (Christentum katholisch/evangelisch, Islam, Judentum, Buddhismus, Hinduismus, Bahaitum). Im 29. Newsletter der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft lud Gerhard Weißgrab zu diesem Neujahrsgebet ein und schrieb: „Auch ein Gedankenanstoß zum Begriff des ‚Gebets’ ist mir ein Anliegen. Ich betrachte diesen Begriff immer als eine besonders große Inspiration, ihn in die Praxis einer nicht-theistischen Religion zu integrieren.“

Im Gegensatz zur Brockhaus-Enzyklopädie, die zwischen Gebet und Anbetung unterscheidet, definiert die englischsprachige Wikipedia den Ausdruck „Gebet“ („Prayer“) wie folgt: „Gebet ist eine Anrufung oder Handlung, die eine enge Beziehung zu einem Objekt der Anbetung [oder Verehrung] oder zu einer geistigen Wesenheit durch bewusste Kommunikation zu aktivieren versucht.“ (Übersetzung von Werner Krotz. „Worship“ kann „Anbetung“ und „Verehrung“ bedeuten.)

Wie versteht der Buddhismus das Gebet? Von der „volksbuddhistischen“ Religiosität, die sich an übermenschliche Wesen, Gottheiten, Schutzgeister wendet, sehe ich hier ab. Wenn Buddhisten „beten“, geht es „um einen Dialog, eine Zwiesprache in und mit ‚sich’, um einen inneren Vorgang. Er dient im Wesentlichen zwei eng miteinander verbundenen Zielen: Geist und Gemüt klar und ruhig werden zu lassen sowie seine eigene Motivation und Haltung zu reinigen.

Beim Kursteil „Der Buddhismus (3): Das buddhistische Gebet“ auf Aphilia habe ich ein traditionelles buddhistisches Gebet entdeckt, das nicht an eine höhere Macht gerichtet ist. Es ist das folgende:

„Mögen alle Wesen Glück
und den Schlüssel zum Glück finden,
mögen sie frei von Leiden
und der Wurzel des Leidens sein,
mögen sie nicht vom großen Glück getrennt sein,
in dem es kein Leiden gibt,
mögen sie in großem Gleichmut,
frei von Leidenschaft, Aggression und Vorurteil leben.“

Bei Munish B. Schiekel habe ich Gebete des vietnamesischen Mönchs Thich Nhat Hanh gefunden, der in dem von ihm gegründeten buddhistischen Zentrum Plum Village im südlichen Frankreich lebt. Sie sind für das tägliche Leben formuliert. Ich bringe drei Beispiele:

        „Beim Erwachen

Ich öffne die Augen und lächle,
ein neuer Tag liegt vor mir,
ich gelobe, auf alle Wesen
mit den Augen des Mitgefühls zu schauen.“

        „Den Klang der Glocke einladen

Körper, Rede und Geist in vollkommener Einheit,
sende ich mein Herz mit dem Klang der Glocke hinaus.
Mögen alle Menschen aus ihrer Achtlosigkeit erwachen
und all ihre Ängste und Leiden überwinden.“

        „Essensgebet

Dieses Essen ist ein Geschenk des ganzen Universums,
des Himmels, der Erde und vieler harter Arbeit.

Mögen wir so leben,
dass wir würdig sind, dies zu empfangen.

Mögen wir unsere unheilsamen Geisteszustände überwinden,
insbesondere Verlangen und Aversion.

Mögen wir nur Nahrung zu uns nehmen,
die uns ernährt und vor Krankheit schützt.

Wir nehmen dieses Essen an,
um den Weg des Verstehens und der Liebe zu gehen.“

Gehen wir diesen Weg, wir Menschen aller vordergründigen Unterschiede! Gehen wir ihn gemeinsam, ohne jedes Schubladendenken!

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309. Tat Tvam Asi - Das bist du  -  16. Januar 2015

Nach dem furchtbaren Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ wurden bei Demonstrationen Schilder mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ getragen, und viele Leute haben sich in sozialen Netzwerken als Unterstützer der Zeitschrift deklariert.

Esther Vietz hat dazu in Facebook folgendes Statement veröffentlicht: „Je suis Esther, habe ein Faible für Satire und trockenen Humor - und denke, dass es dem Anstand, der Höflichkeit und dem Respekt geschuldet ist, nicht alles und jedes auf überzogen blamable Weise zu karikieren.“

Stefan Schaer schreibt dazu in seinem Weblog: „Auch ich bin ein bisschen Charlie. Ich bin aber vor allem die Muslime, die unter Vorurteilen leiden. Ich bin die Zivilisten, die westliche Angriffskriege mit ihrem Leben bezahlen. Ich bin die Flüchtlinge, die ein hoffnungsloses Dasein fristen. [...] Ich bin die Whistleblower, die man verfolgt und bestraft. Ich bin die kritischen Journalisten, die man diffamiert. [...] Ich bin die Verdächtigen, die man einsperrt und foltert. Ich bin die Namenlosen, die man per Drohne ermordet. [...] Ich bin die Menschenrechte, die man mit Füßen tritt. Ich bin die Bürgerrechte, die beschnitten werden.“

In letzter Zeit war ich mit Gerhild, meiner Frau, mehrere Male im Krankenhaus von St. Pölten, da sie sich die Speiche des linken Unterarms gebrochen hatte. Was konnte ich da in der Unfallstation nicht alles sehen! Vor allem die hinfälligen, alten, ausgemergelten Menschen, die auf Spitalsbetten hereingerollt wurden. Welches Elend! Und immer wieder kam mir der Satz in den Sinn: “Tat Tvam Asi!” – “Das bist du!”

Dieser Satz wird im Lexikon der östlichen Weisheitslehren wie folgt erklärt: „Die Heiligen der Veden haben häufig ‚Tat’ (‚Das’) als Hauptwort benutzt, um das unaussprechliche Prinzip, das unergründliche Geheimnis, das unendliche Absolute oder Gott auszudrücken. Wenn sie ihre Schüler in die letzten Erkenntnisse des Vedānta einweihen wollten, haben sie zu ihnen gesagt: ‚Tat Tvam Asi’ (‚Das bist du’).“

Jeder Mensch kann erfahren: „Ich bin eins mit der Herrlichkeit.“

“Tat Tvam Asi!” – “Das bist du!” Im Krankenhaus habe ich diesen Satz auf eine ganz andere Weise erlebt, nämlich wie der historische Buddha, als er noch das Leben eines Adeligen aus dem Geschlecht der Shākya führte. Nach der Legende sah er bei einer Ausfahrt einen Kranken mit ausgemergeltem Körper, dessen keuchender Atem auf ein nahes Lebensende schließen ließ.

In solchen Augenblicken im Krankenhaus habe ich intensiv erfahren: „Ich bin eins mit dem Elend.“ Jeder Mensch muss durch diese Erfahrung durch.

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308. Die Menschen guten Willens  -  9. Januar 2015

Die Franziskusgemeinschaft in Pinkafeld gibt zweimal jährlich eine Zeitschrift mit dem Namen Francesco heraus. In Francesco 45 fand ich einen Text mit dem Titel „Gebet aus Ravensbrück“. Ich gebe hier den Anfang und den Schluss dieses Gebets wieder:

„Friede den Menschen, die bösen Willens sind,
und ein Ende aller Rache
und allen Reden über Strafe und Züchtigung.
. . .
Und dass wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde
den Menschen, die guten Willens sind,
und dass der Friede auch zu den anderen komme.“

Zwei Tage nach dem grässlichen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris, mit zwölf Toten und elf zum Teil schwer Verletzten, hat dieses Gebet eine unverhoffte Aktualität bekommen. Doch welche Gesinnung steckt in dem Gebet? Es ist die Gesinnung, die die Menschen in „Menschen guten Willens“ und „Menschen bösen Willens“ einteilt. Diese Gesinnung steckt in vielen Teilen der Bibel.

Dabei ist die Rede von den Menschen guten Willens, die sich bis auf den heutigen Tag überall hält, auch in päpstlichen Enzykliken, die Folge eines Übersetzungsfehlers. In Lk 2,14 verkünden die Engel den Hirten:

Δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ
καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας
.“

Im Münchner Neuen Testament, das eine Übersetzung liefert, die sehr nahe an den griechischen Worten bleibt, wird das so übersetzt:

„Herrlichkeit in (den) Höhen für Gott
und auf (der) Erde Friede bei (den) Menschen (des) Wohlgefallens.“

Die Lutherbibel von 1984 übersetzt wie folgt:

„Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Der Übersetzungsfehler stammt aus der Vulgata, denn die Vulgata übersetzt so:

„Gloria in altissimis Deo
et in terra pax in hominibus bonae voluntatis.“

Hier werden aus den Menschen des Wohlgefallens (den „ἀνθρώποι εὐδοκίας“) die Menschen guten Willens (die „homines bonae voluntatis“).

Bereits die griechische Formulierung ist problematisch. Denn sie spricht den Frieden den Menschen zu, denen Gott wohlgesinnt ist. Das ist ein Gott mit menschlichen Gesinnungen, ein anthropomorpher Gott.

Für mich gibt es keine guten Menschen und keine bösen Menschen, sondern nur gute Gesinnungen und böse Gesinnungen, gute Taten und böse Taten. Für mich gibt es nur einen Frieden, der von einem Gott, der alle seine Kinder liebt, allen Menschen zugesprochen wird, wenn auch unter Umständen erst nach einem sehr langen Reifungsprozess.

Damit bin ich wieder zurück bei den Tätern, die in Paris mit Kalaschnikows ein Gemetzel angerichtet haben. In dem Artikel „Ein typisch europäischer Weg in den islamistischen Radikalismus“, der im Standard vom 9. 1. 2015 veröffentlicht wurde, schreibt Gudrun Harrer: „Wenn die Täter von Paris tatsächlich identisch mit den von der Polizei gesuchten Brüdern sind, dann entspricht ihr Profil stark dem, was der französische Islamwissenschafter und Soziologe Olivier Roy seit Jahren als Typ des europäischen Jihadisten beschreibt. Dieser terroristische Islamismus leitet sich eben nicht aus einer islamischen Tradition her, sondern es handelt sich um eine Neubestimmung der Religion außerhalb der Kultur. Er ist eine Erscheinung der Moderne und ist nicht einfach ein Import aus der islamischen Welt [...], sondern ein Zeichen einer Kulturkrise, eines Kulturverlustes des Islam im Westen. Es ist typisch, dass sich diese Form des Radikalismus vor allem in der zweiten Generation europäischer Muslime entwickelt. Roy nennt ihn eine pathologische Folge der Verwestlichung des Islam. Religion und Kultur sind entkoppelt. Nur absolut gestellte Normen bleiben übrig.“

Solche Überlegungen können eine Hilfe sein, das Unfassbare zu verstehen. Damit haben wir nicht das Entsetzen und die Trauer abgewendet, wohl aber den Hass.

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307. Pflanzenquälerei  -  2. Januar 2015

Vor einiger Zeit ging mir durch den Kopf: Wenn es Tierquälerei gibt, dann müsste es doch auch Pflanzenquälerei geben. Ich dachte dabei an das Buch „Der Ruf der Rose: Was Pflanzen fühlen und wie sie mit uns kommunizieren“ von Imre und Dagny Kerner, das ich vor circa zwanzig Jahren gelesen habe und heute nicht mehr besitze. „Ein Kapitel beschreibt die von Cleve Backster - damals Schulungsleiter bei der CIA - eher zufällig gemachte Entdeckung, dass seine Zimmerpflanze, ein Drachenbaum, den er über Elektroden an einen Lügendetektor angeschlossen hatte, bereits bei nur gedachter, aber absichtsvoller Androhung von Gewalt sogenannte Angst-Kurven auf dem Schreiber erzeugte.“ (Christiane Oppermann, www.mindthepark.de.)

Klaus Michael Meyer-Abich schreibt in seinem Buch „Praktische Naturphilosophie: Erinnerung an einen vergessenen Traum“, dass die Tierquälerei mit auf den Tisch kommt, wenn Fleisch aus der Massentierhaltung gegessen wird. Und er fährt fort: „Außerdem wird angesichts der Tierquälerei in der Massentierhaltung in der Regel die Pflanzenquälerei übersehen, die darin liegt, dass Pflanzen genauso in Massen gehalten und ‚produziert’ werden wie Tiere.“ Daher ist Pflanzen aus artgerechter Haltung in der Ernährung ebenso der Vorzug zu geben wie Tieren, da wir nur so die Würde der Kreaturen nicht verletzen. (S. 427.)

Das führt zu der Frage: Können wir Pflanzen ein Empfindungs- und Gefühlsleben zutrauen? Wer nur dann von Empfindungen und Gefühlen spricht, wenn entsprechende tierische Organe vorhanden sind, wird diese Frage verneinen. „In der Botanik bahnt sich [jedoch] eine Revolution an: Neurologen haben die Pflanzenwelt für sich entdeckt. [...] Für uns gibt es zwischen Tier- und Pflanzenreich kaum Unterschiede, sagt Dieter Volkmann, emeritierter Professor der Universität Bonn, Pflanzen haben zwar keine Nerven in dem Sinn, wie der Mensch sie hat. Aber es gibt viele vergleichbare Strukturen.‘“ (Aus: „Pflanzen besitzen eine besondere Intelligenz“, www.welt.de, 11. 01. 2010.)

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306. Wer klopfet an?  -  16. Dezember 2014

„Wer klopfet an? O zwei gar arme Leut.
Was wollt ihr dann? O gebt uns Herberg heut.“

Mit diesen zwei Zeilen beginnt das bekannte Herbergsucherlied. Einem Artikel vom 15. Dezember 2003 entnehme ich, dass 59 % der Wiener katholischen Pfarren die Herbergsuche pflegen. Bei uns in Pressbaum, 13 Kilometer von der Wiener Stadtgrenze entfernt im Wienerwald gelegen, spielt sich das so ab:

Am ersten Adventsonntag wird das Herbergsuchebild, das Jesus und die hochschwangere Maria zeigt, in der heiligen Messe gesegnet. Eine Familie oder eine alleinstehende Person übernimmt das Bild und gibt ihm über Nacht einen Ehrenplatz in der eigenen Wohnung. Am nächsten Abend gehen sie dann zu der Familie oder Person, die sich als zweite in die Liste eingetragen hat, und singen vor der verschlossenen Tür das Herbergsucherlied. Es werden alle drei Strophen gesungen, am Ende jeder Strophe wird die Tür zugeschlagen. Schließlich werden die Bittsteller doch eingelassen, und alle setzen sich zu einer Andacht und anschließend zu gemeinsamem Essen, Trinken und Plaudern zusammen. Nach der nächsten Nacht wandert das Bild weiter, bis es am vierten Adventsonntag wieder in die Kirche getragen wird. Als Gerhild, meine Frau, und ich, das erste Mal an der Herbergsuche teilnahmen, haben wir dadurch zwei Familien besser kennengelernt. Auch das ist eine erfreuliche Wirkung dieses Brauchs.

„Im evangelischen Bereich existieren Adventspiele, die sich von katholischen Brauchspielen deutlich abheben. Es handelt sich um Umzugsspiele, in denen ein erwachsenes Christkind auftritt. Dies beruht auf der Vorstellung, dass der erwachsene Christ keines Mittlers bedarf, um mit Jesus Christus in Verbindung zu treten.“ (Aus: „Advent - Warten auf hohen Besuch“, religionv1.orf.at.)

In einer Zeit, in der fast täglich im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken, während die EU ihre Grenzen hermetisch abriegelt, ist die Herbergsuche bittere Realität.

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305. Angelus Silesius und Zen  -  8. Dezember 2014

Der „Cherubinische Wandersmann“ von Angelus Silesius enthält das folgende viel zitierte Gedicht:

„Wär´ Christus tausendmal zu Bethlehem geboren,
doch nicht in dir: du bliebst noch ewiglich verloren.“

Vor einigen Tagen ist mir dazu die folgende Variante eingefallen:

„Wär´ Buddha tausendmal zu Bodh-Gayā erwacht,
doch nicht in dir: du bliebst noch im Samsāra.“

Bodh-Gayā ist der Ort, wo nach der Legende der historische Buddha unter einem Bodhi-Baum das vollkommene Erwachen erfuhr. Und Samsāra ist der Weg, der die Wesen, die noch in Gier, Hass und Verblendung gefangen sind, im Kreis herum führt, sei es innerhalb einer irdischen Existenz oder auch beim Übergang von Existenz zu Existenz. Ob es eine Wiedergeburt gibt oder nicht, kann offen bleiben.

Angelus Silesius schreibt nicht, du bliebest ewiglich verloren, sondern „noch ewiglich“. Irgendwann, sei es innerhalb einer irdischen Existenz, beim Tod, nach dem Tod oder auch beim Übergang von Existenz zu Existenz wird er in dir geboren, und dann fällt das „ewiglich“ weg. Ob es eine Wiedergeburt gibt oder nicht, kann offen bleiben.

Ich verstehe Christus als die Kraft, die untrennbar mit der Schöpfung und Vollendung des Kosmos verbunden ist. Wenn Christus in mir geboren ist, dann bin ich selbst ein Teil dieser Kraft, dann bin ich diese Kraft. Die Weite ist da, das Ich fällt weg.

Ich verstehe Buddha als die Einsicht, die untrennbar mit der Befreiung von Gier, Hass und Verblendung verbunden ist. Wenn Buddha in mir geboren ist, dann bin ich selbst ein Teil dieser Einsicht, dann bin ich diese Einsicht. Die Weite ist da, das Ich fällt weg.

In mir ergänzen Buddhismus und Christentum einander nahtlos. Nicht einfach als Denkmodelle, sondern durch die tiefe Verbundenheit zwischen mir und Jesus, zwischen mir und Siddhārtha.

Auf einem Zen-Buddhismus-Blog wird betont: „Alle Texte sind Zen-Texte.“ Und dann werden Texte von Angelus Silesius aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ angeführt.

(Siehe auch: 108. Einstehen für die Menschen und die Erde.)

Feedback von Josef Georg Simmerstätter:

Zum Buddhismus habe ich zwar keinen so guten Zugang gefunden wie Du, aber ich versteh Dich gut, denn ich hab zum Bahá’í-Glauben gerade so ein gutes Verhältnis wie Du zum Buddhismus. Der letztere - kommt mir vor - ist einem europäischen Rationalisten einfach zu fremd.

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304. Die Wahrheit von Himmel und Erde  -  1. Dezember 2014

Im Zendo des Dürckheim-Zentrums in Todtmoos-Rütte befindet sich ein Rollbild, das ein Skelett in Meditationshaltung zeigt. In der Beckengegend ist eine weiße Lotosblume mit acht Blütenblättern, darüber das Sanskrit-Schriftzeichen „A“ in Gold und dahinter der volle Mond. Bei einer Therapiestunde im Dürckheim-Zentrum im Juni 1991 habe ich den goldenen Kern in meinem Becken bewusst erlebt, ohne zu ahnen, dass ich dabei den Anschluss an die Ajikan-Meditation gefunden habe.

Ein Besucher der früheren Kaiserstadt Kyōto in Japan hat diese Meditation wie folgt erlebt und beschrieben: „Die Ajikan-Meditation verwendet den Sanskrit-Buchstaben ‚A‘ als Konzentrationspunkt. Der Buchstabe ‚A‘ ist ein Mantra, das die Wahrheit von Himmel und Erde darstellt. Diese Wahrheit ist die Grundlage aller Dinge, die es gibt, die Grundlage, auf die sich die Menschheit verlässt, die Quelle des ewigen Weges (Dao). Alle Lebewesen im Weltall – sogar alles, was existiert – hat seinen Ursprung in der Wahrheit von Himmel und Erde. Diese Wahrheit ist die ätherische Form des Weltalls, unermesslich und geheimnisvoll. Sie hat keine feste Form, doch nimmt sie alle Formen an. […] Sie ist die Mutter der ganzen Schöpfung, die Quelle des Lebens aller fühlenden Wesen im Weltall. Dieser Segen umgibt alle Dinge ohne Unterschied. Solches Leben ist nicht auf die Bereiche von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschränkt. Es ist vielmehr ein Licht, das in allem Vorstellbaren scheint, und daher wird es ‚Nyorai-Buddha‘ genannt. Der Buchstabe ‚A‘  ist das Mantra des Nyorai-Buddha, in einem einzigen Buchstaben zusammengefasst. Wer über den Buchstaben ‚A‘ meditiert, meditiert über den Nyorai-Buddha selbst. […] Der Vollmond stellt die Tugend der erleuchteten Weisheit dar, die durch die Buddha-Natur hervorgerufen wird. Die Lotosblume ist eine physische Darstellung der Tugend des reinen Mitgefühls.“ (Aus: Marcel Votlucka, „Intro to Ajikan Meditation“, 21. 08. 2013, Übersetzung von Werner Krotz.)

Nyorai ist das japanische Wort für das Sanskrit-Wort Tathāgata. Der Tathāgata ist der so Dahingelangte, der so Gekommene, der Vollendete. Im Mahāyāna ist er sowohl der vollendete Mensch, der alle Formen annehmen kann, als auch das kosmische Prinzip, die Essenz des Universums. Als der vollendete Mensch verkörpert er reine Weisheit und reines Mitgefühl.

Der Weg des Bodhisattva, der in der physischen Welt hilft, und der Weg des Tathāgata, der in der ätherischen Welt hilft, ist ununterscheidbar eins. Das durch meine ganze Existenz auszudrücken, ist ein Teil meiner Lebensaufgabe. Das mit Power in die Welt zu bringen, bis die Ketten von Gier, Hass und Verblendung von ihr abfallen, kann nur die Aufgabe einer wachsenden Gemeinschaft sein.

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303. Zweitreligion  -  24. November 2014

Für ein Buchmanuskript habe ich vorgestern recherchiert, wie eine buddhistische Puja (ein Ritual der Verehrung) gehalten wird. Dabei ist mir aufgefallen, wie tief ich den Buddhismus schon verstehe, und mir ist der Satz in den Sinn gekommen: „Der Buddhismus ist wirklich meine Zweitreligion“. Das darf nicht so verstanden werden, dass das Christentum meine Erstreligion, der Buddhismus meine Zweitreligion und die beiden getrennt voneinander wären. Vielmehr durchdringen sie einander. Der Buddhismus ohne Christentum ist für mich verständlich, aber das Christentum ohne Buddhismus ist für mich unverständlich.

Ein wesentlicher Teil der Puja ist Pattidāna (Verdienstübertragung). Verdienste, die man erworben hat, werden anderen dargebracht. Diese Verdienste sind Dāna (Geben), Sīla (Sittlichkeit) und Bhāvanā (Geistesentfal­tung). Ein Ausschnitt davon in Pali, einem indischen Dialekt, der sich vom Sanskrit ableitet: „Idam sabbaverīnam hotu, sukhitā hontu sabbe verī. / Idam sabba sattānam hotu, sukhitā hontu sabbe sattā.“ (Übersetzung: „Möge dieses Verdienst allen meinen Feinden zukommen, mögen sie glücklich sein. / Möge dieses Verdienst allen fühlenden Wesen zukommen, mögen sie glücklich sein.“)

Zu meinem Verständnis von Religion gehören neben dem Buddhismus als Zweitreligion auch Perlen des Hinduismus und des Islam. Beim Hinduismus fühle ich mich sehr vom Advaita-Vedānta angezogen. Der Vedānta bezieht sich auf die Schlussbetrachtungen der Veden, auf die Upanischaden. Advaita bedeutet „Nicht-Zweiheit“. Der Advaita-Vedānta spricht von einem einzigen Urprinzip, das allem Sein zugrunde liegt. Es geht beim Advaita-Vedānta um die Auflösung aller  falschen Vorstellungen und  hinderlichen Gewohnheiten. Ziel ist die Erkenntnis, dass Gott (Brahman) die Gesamtheit allen Seins ist und dass das Selbst (Ātman) identisch damit ist. (Nach: vedanta-yoga.de/vedanta.)

Demgegenüber spricht übrigens der Buddhismus von Anātman, vom Nicht-Selbst, der Nicht-Wesenhaftigkeit als einem der drei Merkmale von allem Existierenden. Die Anātman-Doktrin ist eine der zentralen Lehren des Buddhismus. Sie besagt, dass es kein Selbst (Ātman) im Sinne einer unvergänglichen, einheitlichen und unabhängigen Substanz gibt. (Nach dem Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Stichwort Anātman.)

Im Mahāyāna, der buddhistischen Schulrichtung, die ca. 500 Jahre nach dem Tod des historischen Buddha aufkam, spricht man dennoch von der Buddha-Natur als der wahren, unveränderlichen und ewigen Natur aller Wesen, die es ihnen ermöglicht, das Nirvāna zu realisieren. Die Buddha-Natur kann als „wahres Selbst“ missverstanden werden, indem man den Kern der Wesen als eine Substanz festhält.

Demgegenüber ist nach dem Zen-Buddhismus die Buddha-Natur als Shūnyatā (die Leere) erfahrbar. Durch diese Erfahrung „begreift man die Welt von Ku. Diese Welt - beweglich, frei von Masse, jenseits von Individualität und Persönlichkeit - liegt außerhalb des Bereiches unserer Vorstellungskraft. [...] Aber obgleich Buddha-Natur jenseits aller Begriffe und Vorstellungen liegt, ist es doch möglich, dazu zu erwachen, da wir selbst ureigentlich Buddha-Wesen sind.“ (Aus: Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Stichwort Busshō.)

Für mich gibt es auch eine Perle des Islam: Der arabische Begriff islām bedeutet „vollständige Unterwerfung und Hingabe (an den einen Gott)“. Das Wort Muslim ist von derselben Wortwurzel „slm“ abgeleitet wie islām. Ein Muslim ist „derjenige, der sich (dem einen Gott) vollständig unterwirft“. Das Wurzelwort „slm“ bedeutet „Ergebung“, „Frieden“.

„Aufgrund einer schöpfungsgemäßen Veranlagung ist jeder Mensch seinem Wesen nach auf Gott ausgerichtet und kommt seiner Bestimmung in gläubiger Hingabe an Gott nach. Diese Hingabe macht bereits das Wesen des Wortes Islam aus, und indem der Mensch diese Hingabe vollzieht, wird er zum Muslim.“ (Aus: Thomas Lemmen, „Islamische Religions­ausübung in Deutschland“, S. 49.)

Es gibt einen Hadith (eine Überlieferung über den Propheten Muhammad), der besagt: „Jeder Mensch ist von Natur aus Muslim.“ In dem Sinn der totalen Hingabe an Gott bin auch ich ein Muslim. Allerdings: Meine Hingabe gilt dem transzendenten Gott. Ich beschränke mich nicht auf das, was im Qur’an über Gott ausgesagt wird.

Alles, was ich in den Religionen erfahren kann, ist in mir aufeinander bezogen.

(Siehe auch: 179. Jeder Mensch ist von Natur aus Muslim, 192. Basileia und Nirvāna.)

Feedback von Josef Georg Simmerstätter:

„Hingabe“ - Das ist es, was auch im Christentum im Glaubensbewusstsein an erster Stelle stehen sollte. Damit ist ja das Wesen des christlichen Glaubens eigentlich zu „erklären“. Gott gebührt VOLLKOMMENE HINGABE. Nur EINER kann sie vollkommen leisten:  Jesus Christus. „Durch ihn, mit ihm und in ihm“ - in realer Einheit mit ihm im „Corpus Christi mysticum“ im Zeichen der Kommunion können auch wir vollkommene Hingabe leisten. Ein 84jähriger Mesner einer Filialkirche von Mariapfarr hat es mir nach dem Empfang der Krankensalbung auf dem Sterbebett erklärt: „Unser Heiland hat sein Leben dem Herrgott hingeschenkt; jetzt kann ich das meine auch dazutun.“ - Sehr einfache Worte eines sehr einfachen gläubigen alten Mannes! Was wir in der Eucharistie zeichenhaft vollziehen, das geschieht in der „Salbung zum Dienst der ewigen Herrlichkeit“ im leiblichen realen Tod in Wirklichkeit. - Eine eindrucksvolle theologische „Vorlesung“! Ich war tief ergriffen und bin es im Grunde heute noch!
HINGABE ! - Das ist es!

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302. HexMex  -  17. November 2014

HexMex ist eine kleine sechseckige Geldbörse. HexMex ist aber auch eine sechsköpfige Vocal-Group aus Wien-Hetzendorf mit Schwerpunkt auf poppiger, jazziger Literatur, die seit Jänner 2014 in dieser Formation zusammen singt.

Am 15. November 2014 gaben sie mit einem anderen Vokalensemble in Wilhelmsburg, der Geburtsstadt meines Vaters, ein Konzert, bei dem jede Gruppe zwei Blöcke darbot. Die drei Frauen und drei Männer von HexMex waren beim Singen ihrer ungewöhnlichen, begeisternden Arrangements in einer lebendigen, stets wechselnden Choreografie miteinander verbunden. Kein Mitglied stand die ganze Zeit im Vordergrund. Auch die Moderation war auf alle verteilt.

Dieses Ensemble ist eine Klasse für sich. Sie nennen sich auch Fun-Acapella HexMex. Und sie brauchen den Vergleich mit den legendären Comedian Harmonists nicht zu scheuen. Wann sie ihr nächstes Konzert geben, werde ich auf ihrer Facebook-Seite erfahren.

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301. Gefleckter Adler-Lied  -  07. November 2014

Heute beim Spazierengehen im Wienerwald mit dem Hund hat mich wieder einmal das Gefleckte Adler-Lied gepackt, dessen eindringliche Wiederholungen ich seit einiger Zeit auf alles Mögliche anwende. Es ist von den Lakota, einer Stammesgruppe der Sioux, und geht so:







Dieses Lied habe ich von der Website Der rote Weg von Charly Juchler, der auch Lakota-Projekte unterstützt.

Ich bin der Frage nachgegangen, was das Besondere an dem gewöhnlichen gefleckten Adler ist.

„Der gefleckte Adler. Er ist der Repräsentant des Lebens und des Bewusstseins. Mit seinen ausgebreiteten Flügeln, die er im Gleitflug Richtung Horizont streckt, hält er die Erde [unsere Urmutter] zusammen.“ (Aus: „Über das Bewusstsein der Lakota“, The Queesch Magazine.)

Wanbli Gleska, der gefleckte Adler, ist sehr heilig und der Bote von Tunkashila (der Großvater-Geist) oder Wakan Tanka (das große Geheimnis). Er trägt unsere Worte zu Tunkashila und die Worte von Tunkashila zu uns. Brave Buffalo, ein Schamane der Lakota, sagte: „Nur der gefleckte Adler kann mit Tunkashila sprechen.“

Ich habe noch ein Gefleckter Adler-Lied gefunden, auf der Website The Singing Stone. Es geht so:






Lassen wir die Kraft des gefleckten Adlers zu, in unserem Herzen.

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