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Das Land des Lebens

Vor nunmehr 58 Jahren hat mich Diotima, die ich als die weise Beraterin des Sokrates sehr ver­ehrte, in das andere Land geführt, eine Gunst, die nur wenigen zuteil wird, auf einem Weg, den nur wenige gehen können. Als ich wieder in meinem Land zurück war, sah ich es mit neuen Augen. In den Donauauen traf ich einen Schauspieler. In dem Gespräch mit ihm wurde mir klar, dass meine Erlebnisse in dem anderen Land nur schwer vermittelt werden können. Ich habe sie alle aufgeschrieben, aber durch viele Jahre habe ich niemandem außer Marianne meine Aufzeichnungen gezeigt.

Vor circa einem Jahr empfing ich einen inneren Impuls, der mir sagte, ich möge mich mit den fast vergessenen Aufzeichnungen meiner Erlebnisse in dem anderen Land wieder befassen. Das hat dazu geführt, dass ein weiteres Land in meinen Horizont gekommen ist: das Land des Lebens. Ohne die Geduld und die selbstlose Liebe von Marianne hätte ich dort nicht Fuß fassen können. Dafür ist jedoch eine dringende Notwendigkeit gegeben, denn mein Land ist in vieler Hinsicht ein Land des Todes geworden, ein Land, in dem der Frieden durch wachsenden Unfrieden bedroht ist.

Ich frage mich, ob ich nach so langer Zeit, nach 58 Jahren, eine Brücke bilden kann zwischen dem anderen Land und dem Land des Lebens, das jetzt in meinen Erfahrungen auftaucht. Bin ich denn überhaupt noch derselbe Mensch, derselbe Adam? Adam ist übrigens mein Vorname.

Das sind die Dinge, die mir wichtig geworden sind: eine Brücke bilden, eine Waage verwenden. Ich sehe mich oft mit beiden Händen, die die Schalen einer Waage bilden. Ich wäge ab und ich stelle einen Ausgleich her. Mit diesen beiden wichtigsten Dingen, der Brücke und der Waage, werde ich imstande sein, mehr und mehr von dem Land des Lebens zu verstehen und zu begehen. Mit der Hilfe von Marianne, der ich jedes Erlebnis sofort berichten werde. Denn es gibt keine Diotima, die mich in das neue Land führt und mich dort eine Weile begleitet. Das Land des Lebens ist wie ein Wetterleuchten, es wird in Licht getaucht und ist dann wieder dunkel. Oft ist es auch wie das Einschlagen mächtiger Blitze und das Grollen all­umfassender Donner. So bin ich immer wieder in dem Land des Lebens und dann in meinem Land zurück.

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