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Das andere Land

Soll ich den Versuch wagen? Und wird er zu einem guten Ende gelangen? Das sind die Fragen, die mich im Augenblick am meisten bewegen. Werde ich stark genug sein? Ich bin doch gerade erst zum Leben erwacht. Zu einem Leben, von dem ich nicht viel weiß, das mir schon viel Ratlosigkeit beschert hat.

Es hat mich viel Kampf gekostet, um diese Ratlosigkeit zu überwinden, und ich weiß nicht, ob es mir je ganz gelingen wird. Es hat mich geschwächt, und ich vertraue darauf, dass es doch dazu führen wird, mich zu stärken.

Ich vertraue auch darauf, dass ich Nutzen daraus gezogen habe. Leiden und Sehnen machen den Menschen hellhörig, machen ihn dankbar. Machen ihn fähig, Ruhe und Frieden als das zu suchen, was sie sind. Machen ihn zu einem Instrument, das aufzeich­nen muss, und wäre es auch vergeblich...

Und so zeichne auch ich auf, auf meine Art. Ich fühle, dass ich den Menschen etwas geben muss. Wie eben einer, der erfahren hat, wie schwierig es ist, Mensch zu sein. Ich greife also zur Feder. Ich beschreibe den ersten einer großen Zahl von Papierbögen, die im Geheimen schlummern werden, bis ihre Zeit gekommen ist. Vielleicht kommt sie nie.

Das darf mich aber nicht abhalten von meinem Versuch. Seit mehr als drei Jahren fasst er mich immer wieder an, der Drang zu gestalten; zuerst noch unklar, dann immer auffälliger, und nun ist das entscheidende Ereignis eingetreten, das mich zum Schreiben zwingt. Ich habe auf ein Zeichen gewartet, sehnsüchtig. Nun ist es da und ich kann nicht mehr widerstehen.

Es ist gut, dass ich unsicher war, dass ich meinem Drang nicht schon früher nachgab. Ich bin älter, reifer, besser, sicherer und stärker geworden, ich sehe meinen Weg vor mir und bin auf Rück­schläge gefasst. Ich glaube nicht mehr, besonders bedeutend zu sein und die Welt erschüttern zu können, wie ich es früher tat. Das Leben macht demütig, und das ist gut so. Denn der Hochfahrende erlahmt. Das Wichtigste für ihn ist sein Wohl und Wehe. Der Weise aber beachtet sich nicht; das ist seine natürliche Haltung. Und doch hat er das Leben in sich, gerade deswegen. Wie eine tausend­jährige Eiche. Er steht ganz ruhig und seine mächtigen Wurzeln sind fest mit dem Erdreich verbunden. Seine Äste breiten ich aus. Sein Wipfel aber ragt in den Himmel.

Ich möchte weise werden. Ich möchte wenig wissen und bescheiden sein. Und dennoch soll mich das Leben durchströmen wie jenen tausendjährigen Baum. Noch stehe ich ganz am Anfang. Noch kann ich voll Zuversicht bitten. Noch weiß ich nicht, ob meine Bitte nicht unerfüllbar ist.

Und noch erfüllen mich all die Ereignisse, die dem heutigen Tag vorausgehen. Mein Leben ist äußerlich unansehnlich verlaufen; viele werden mich nicht verstehen, wenn ich sage, dass ich mehr Glück und Leid in mich aufgenommen habe als andere in einem Leben voll Abwechslung, voll bitterer Härte und voll des äußeren Glücks, das viele Menschen dem inneren vorziehen. Ich besitze die Gabe der steten Reflexion, des Erlebnisreichtums. Ich bin für diese Gabe sehr dankbar, wenn sie mir auch oft schwere Lasten aufbürdet. Aber ich bin jung; ich lerne diese Lasten tragen, lerne mein Leben gestalten.

Und so ist es eben jene Gabe, die mir all die Erlebnisse geschenkt hat, von denen ich berichten möchte, berichten muss. Ich hoffe, ich kann ein wenig von der Lebendigkeit einfangen, in der sie mir gegenüberstehen. Ich hoffe, ich werde nicht versa­gen. Alles ist so einfach und ergreifend wie ein kleiner Vogel, der sich im Wind schaukelt und den Frühling genießt. Und ebenso gottgewollt.


| JETZT tanzen die regenwürmer aufwärts durch die rote erde |