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BAUSTEIN 101 - 150

150. Auf der Suche nach der authentischen Eucharistie  -  28. Oktober 2011

Auf der Suche nach dem authentischen Leben bin ich seit langer Zeit. Und ich finde immer wieder Hinweise, Erklärungen und Gestalten des authentischen Lebens. Von meiner Lebensgeschichte her war es nicht leicht, mich von einem niedergedrückten Zustand zu erheben, gerade dazustehen, mich zu entfalten und aufzublühen. Aber seit Langem fasse ich das Leben als ein großes Experiment auf, das aus vielen kleinen Experimenten besteht. Ein solches Experiment, das besonders fruchtbar geworden ist, beschreibe ich jetzt.

Gerhild und ich hatten im Jahr 2008 an einem Freitagabend an einer Vorabendfeier für den Sabbat in einem Haus der Gemeinschaft der Seligpreisungen in der Hinterbrühl bei Wien teilgenommen. Diese römisch-katholische Gemeinschaft fühlt sich mit dem Judentum besonders verbunden und machte an diesem Tag eine Vorabendfeier mit Zeremonien, Liedern und Gebeten, wie sie bei der jüdischen Vorabendfeier traditionell sind. Wir fühlten uns nicht besonders angesprochen davon, aber ich dachte mir: Sollte es nicht auch eine christliche Vorabendfeier für den Tag des Herrn geben? Und ich schrieb eine Liturgie dafür. In deren Mittelpunkt stand das Teilen von Brot, denn der auferstandene Jesus ist das Brot des Lebens, und das Teilen von Wasser, denn der auferstandene Jesus ist das Wasser des Lebens. Nach dieser Liturgie feierten Gerhild und ich eine Zeit lang am Samstagabend.

In mir entstand dann das Gefühl, dass das eigentlich zu wenig ist, dass wir eine eigene Eucharistiefeier haben sollten. Also schrieb ich im Jahr 2009 eine Liturgie für eine Eucharistiefeier im privaten Raum. Mein Ausgangspunkt war die römisch-katholische Liturgie und insbesondere das zweite Hochgebet der römisch-katholischen Kirche. Ich vereinfachte und erweiterte die traditionelle Liturgie. Von den drei Lesungen behielt ich nur die Lesung des Evangeliums, gemäß dem liturgischen Kalender, aber nicht im Originaltext, sondern in den Bearbeitungen, die in meinen Büchern "Du bist Liebe" und "Botschaft ohne Grenzen" veröffentlicht sind. Das Hochgebet nahm ich in der Bearbeitung, die in meinem Buch "Jesus für alle" veröffentlicht ist. Meine Bearbeitung des Hochgebets änderte unter anderem die Wandlungsepiklese.

Originaltext im zweiten Hochgebet:
Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.

Text in meiner ersten Bearbeitung:
Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit Leib und Blut des auferstandenen Jesus in ihnen wohnen und uns immer mehr mit ihm und untereinander verbinden.

In dieser Bearbeitung habe ich die nur in Vorstellungen der aristotelischen Metaphysik denkbare Transsubstantiation durch die Schechina, die im Judentum die Einwohnung Gottes bei seinem Volk ist, ersetzt. Die Schechina ist außerdem im kabbalistischen Lebensbaum die unterste Sefira, die auch Malkuth genannt wird, die Herrlichkeit Gottes in der Welt.

Im Jahr 2011 habe ich die Wandlungsepiklese ein zweites Mal bearbeitet. Text in meiner zweiten Bearbeitung:
Sende deinen Geist auf uns herab und reinige, heile und heilige uns, damit wir Leib und Blut des auferstandenen Jesus in diesen Gaben erkennen und uns immer mehr mit ihm und untereinander verbinden.

In dieser Bearbeitung habe ich nicht mehr die Schechina thematisiert, sondern den auferstandenen Jesus, der zum kosmischen Jesus geworden ist. Dazu bin ich vor allem durch die Arbeit an meinem Sachbuch „Vom Tod zum Leben“ gekommen, das im Jahr 2010 entstanden ist.

Statt eines traditionellen Bußritus enthält meine Liturgie zwei Fragen und eine Bitte:
Kann ich alles verzeihen, anderen Menschen und mir selbst?
Schade ich einem anderen Wesen oder mir selbst?
Jesus, führe uns zu Einsicht und Umkehr.

Danach folgt eine kurze Stille und die Antworten auf diese Fragen werden offen ausgesprochen.

Anstelle eines normierten Tagesgebets erfolgt in meiner Liturgie vor dem Evangelium die Einladung zu frei gesprochenen Gebeten, mit dem Schwerpunkt Dank und Lobpreis.

Gerhild und ich begannen also im Jahr 2009, von Zeit zu Zeit diese Eucharistiefeier zu begehen. In mir war Zittern und Zagen und Angst davor, etwas Unrechtmäßiges zu tun, doch wir machten weiter damit. Die Vorabendfeier machten wir nun nicht mehr. Je öfter wir die Eucharistie feierten, desto natürlicher und selbstverständlicher wurde es. Ängste und Bedenken fielen ab, Bestätigung und Kraft erwachten und wurden immer stärker. Natürlich besuchen wir zusätzlich Gottesdienste mit Abendmahl in katholischen und evangelischen Kirchen.

Ein entscheidender Schritt nach vorn fand unlängst statt. Gerhild und ich waren bei der Eucharistiefeier nicht mehr allein. Nun wirkt sie bereits über unsere Zweierbeziehung hinaus.

Vor ein paar Wochen hatte ich ein langes Gespräch mit einem Beauftragten der evangelischen Kirche. Nach seiner Meinung soll ein Gottesdienst mit Abendmahl im öffentlichen Raum von einem Amtsträger oder einer Amtsträgerin geleitet werden; im privaten Bereich ist das jedoch nicht erforderlich. Dieses Verständnis sollte meiner Meinung nach maßgeblich für alle christlichen Gemeinschaften sein.

Eucharistie zu feiern ist das zentrale Vermächtnis, das Jesus denen hinterlassen hat, die ihn lieben. Er hat es allen hinterlassen, ohne Ausnahme. In den Hausgemeinschaften der ganz frühen Kirche wurde es so verstanden. Die Seinen sollen es für ihre eigene Stärkung feiern und für ihre Sendung, allen Menschen zu dienen, diese Feier allen Menschen und sogar allen Wesen ohne Unterschied darzubringen. Die römisch-katholische Hierarchie hat dieses Vermächtnis Jesu missachtet. Sie hat die Feier der Eucharistie den Menschen aus den Händen genommen und an sich gezogen. So bremst sie den Strom des Segens.

Die römisch-katholische Hierarchie hält den Behälter, in dem sie die Eucharistiefeier eingeschlossen hat, mit Gewalt fest. Würde sie den Behälter öffnen und die Eucharistiefeier für alle freigeben, die Jesus lieben, würde sich ein Strom des Segens in die Welt ergießen. Die kleinlichen ökumenischen Streitigkeiten wären kein Thema mehr. Die Kirchen und die Welt würden sich wandeln.

Doch viele Bischöfe und Priester sind voll Angst. Welche Rolle würden sie denn dann noch spielen? Sie müssten ihre Aufgaben neu entdecken, zum Segen für alle und für sich selbst. Die Gottesdienste unter ihrer Leitung würden viele anziehen, die heutzutage nicht mehr kommen, und würden alles bestätigend zusammenfassen.

Ergänzung vom 31. Oktober 2011:

In einem Feedback wurde mir mitgeteilt: Um so zu feiern, ist der Mut zum “heiligen Experiment” vonnöten, nach den Worten von Karl Rahner: "Das Wort vom Heiligen Geist bietet keine Rezepte, die man nur auszuführen brauchte. Er befiehlt das Wagnis, das Experiment, die Entscheidung, die nicht mehr vor allgemeinen Prinzipien (dem Gesetz und dem Buchstaben) adäquat gerechtfertigt werden kann. Das Wort vom Heiligen Geist ist die Frage an jeden Einzelnen in seiner unvertretbaren Einmaligkeit, ob er den Mut zum Wagnis, zum Experiment, zum Aushalten des Widerspruchs der großen Menge habe."

Ergänzung vom 15. Dezember 2011:

Als Gerhild und ich am letzten Samstagabend wieder gemeinsam zuhause Eucharistie feierten, wurde mir klar, wie groß das Gewicht ist, das solche Feiern haben. Wir feiern Eucharistie in einem kosmischen Raum, stellvertretend mit der ganzen Welt und für die ganze Welt.

Ergänzung vom 15. August 2012:

Heute ist das Fest der Aufnahme Marias in den Himmel, und Gerhild und ich haben auf unserer Terrasse gemeinsam Eucharistie gefeiert. Wir haben uns durch das Essen von Brot und durch das Trinken von Wein aufs Innigste mit dem auferstandenen Jesus verbunden. Es ist aber nicht so, dass wir ihn gleichsam in diesem Brot und in diesem Wein eingefangen hätten. So wie er in diesen Gaben gegenwärtig war, so ist er als der kosmische Jesus in allen Bereichen und allen Details des Kosmos gegenwärtig. So wie dieses Leben in uns erwacht, so möge es kollektiv in allen Menschen erwachen.

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149. Du bist mein Du - ich bin dein Mu  -  22. Oktober 2011

Als wir im September auf der Insel Susak waren, habe ich für Gerhild das folgende kleine Gedicht geschrieben:

welches geschenk
zu sagen:
mein du
dein du
du bist mein du
ich bin dein du

welches geschenk
zu wissen:
mein mu
dein mu
du bist mein mu
ich bin dein mu

das du
als mu
ist unendlich

Das japanische Wort "Mu" ist die Antwort des Zenmeisters Jōshū in einem Kōan. Es bedeutet sinngemäß: Was auch immer du festhalten willst, das ist es nicht.

Wenn nun Gerhild und ich das füreinander sind, was dieses Gedicht ausdrückt, so sind wir es geworden und doch immer schon gewesen. Im alltäglichen Leben heute entfaltet sich die Simultanität von allem, was wir je erlebt haben, und zugleich die Kumulierung davon, über Zeit und Raum hinausgehend. Wir hatten uns einander versprochen, am Rand des Verstehbaren, dort, wo Zeit und Raum aus- und eingeschaltet werden. Zeiten des Schmerzes konnten wir nicht vermeiden. So wurden wir das Wir, das wir sind und immer sein werden, über den Tod hinaus.

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148. Die Türe ist offen  -  17. Oktober 2011

Vor ungefähr zweitausend Jahren lebte in einem Dorf namens Nazaret ein Mann, der von seinem Vater oder Stiefvater das Bauhandwerk gelernt hatte. Er hieß Jeschua, ein Name, der damals häufig war und "Gott ist freigebig" oder "Gott befreit" bedeutet. Als er ungefähr dreißig Jahre alt war, ging er zu einem Bußprediger an den Jordan und wurde von ihm unter Wasser getaucht. Als er aus dem Wasser stieg, hatte er ein einschneidendes Erlebnis. Er wusste auf einmal, dass er von Kopf bis Fuß von Gott erfüllt war, in einer Art und Weise, wie niemand sonst. Er begann, Schülerinnen und Schüler um sich zu sammeln und als Wanderprediger herumzuziehen. Seit diesem Erlebnis war die Stimme Gottes immer in ihm lebendig, und trotz der großen Treue zu seiner jüdischen Religion erwachte er zu einer immer größeren Freiheit und Selbstständigkeit.

Er gab den Menschen ein einziges Gebot: "Liebe Gott und liebe deinen Mitmenschen, denn er ist kostbar wie du." Diese Art der Formulierung wählte er, weil es in seiner heiligen Schrift so stand. Ansonsten hätte er sagen müssen: "Liebe Gott, liebe deinen Mitmenschen und liebe jedes Wesen auf der Erde, denn es ist kostbar wie du."

Und er gab den Menschen ein einziges Ritual. Als er nämlich kurz vor seinem Tod mit den Seinen beisammen war, nahm er während des Essens ein Fladenbrot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen mit den Worten: "Nehmt und esst. Das ist mein Leib, der für euch und für alle hingegeben wird." Nach dem Mahl nahm er einen Becher mit Wein, sprach das Dankgebet und gab ihnen den Becher mit den Worten: "Trinkt alle daraus. Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird. Tut dies zu meiner Vergegenwärtigung."

Jeschuas sehnlichster Wunsch war, dass ihm die Menschen nachfolgen würden, in seine umfassende Freiheit und unerschöpfliche Liebe hinein, dass sie so werden würden wie er und dass sich ihr Zusammenleben und die ganze Erde in unvorstellbarem Maß verändern würde, zu einem Zustand des vollständigen Friedens. Als er einmal in seinem Heimatdorf am Sabbat in die Synagoge ging und ein Schriftwort auslegte, deutete er das an. Das regte die Leute so auf, dass sie ihn fast vom Berg, auf dem Nazaret lag, in den Abgrund gestoßen hätten.

Möglicherweise war Jeschua aber auch ein apokalyptischer Prediger, der glaubte, dass dieses Friedensreich erst am Ende der Welt anbrechen würde. Dann würde es unsere Erde nicht mehr geben, sondern eine neue Erde wäre da. In den Evangelien wird beschrieben, dass er glaubte, das Ende der Welt würde sehr bald, in wenigen Jahren kommen. Möglicherweise war Jeschua so sehr ein Kind der damaligen Vorstellungen, dass er wirklich selbst von Heulen und Zähneknirschen und ewiger Verdammnis am Ende der Zeiten sprach. In diesem Fall hätte er einer zeitlichen Schuld eine ewige Strafe und damit eine übermäßige Rache entgegengesetzt, die mit dem Gott der Liebe nichts zu tun hat.

Er machte den Menschen mit Entschlossenheit klar, dass die Priesterkaste, die blutige Opfer darbrachte, die Menschen von Gott ablenkte und ihnen noch dazu ein ungünstiges Bild von Gott vermittelte, von einem Gott, der Angst machte und drohte. Als er wenige Tage vor seinem Tod in Jerusalem zum Tempel hinaufging und den Betrieb dort betrachtete, ergriffen ihn Trauer und Zorn. Er setzte ein Zeichen, indem er einige Leute, die im Tempel verkauften und kauften, hinaustrieb und einige Rinder und Schafe dazu. Einige Tische der Geldwechsler und einige Sitze der Taubenverkäufer stieß er um. Und er sagte zu den Leuten: "Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll eine Stätte des Gebets werden für alle Menschen der Erde? Ihr habt es aber zu einer Markthalle gemacht."

Er wusste, dass seine Botschaft der Erneuerung ihn vor der Rache der Tempelpriester und der anderen vornehmen Männer nicht schützen würde, und er wich ihrer Rache nicht aus. Wenn es wahr ist, was die Evangelien berichten, schwärzten sie ihn bei der römischen Behörde an, indem sie behaupteten, er wolle sich zum König machen, und die Römer richteten ihn hin, mit der ungeheuer grausamen Hinrichtungsart, die nur bei Sklaven und Aufrührern, die nicht das römische Bürgerrecht besaßen, angewandt wurde.

Die Tempelpriester machten weiter wie bisher, doch vierzig Jahre später wurde der Tempel von den Römern zerstört, als sie einen jüdischen Aufstand niederschlugen.

Nach Jeschuas Tod bildeten sich Gemeinschaften von Jüdinnen und Juden, die sich untertauchen ließen, wie Jeschua sich hatte untertauchen lassen, die seinem Gebot nacheiferten und die sein Ritual miteinander feierten. Dann breitete sich die Bewegung aus und viele nichtjüdische Menschen kamen dazu. Die Jüdinnen und Juden waren bald in der Minderzahl und ihr Lebensstil wurde nicht mehr als verbindlich angesehen.

Letzten Endes wurde daraus eine neue Religion. Es gab wieder Hohe und Niedrige, und die Hohen ersannen viele Erklärungen, die in den Worten und Vorstellungen des Hellenismus formuliert waren. Sie beschrieben Gott selbst, Jeschua und Gottes Geist, nannten ihre Formulierungen Dogmen und verfluchten und exkommunizierten alle, die sich nicht an ihre Dogmen hielten. Den von ihnen Verfolgten sprachen sie alle Rechte ab, sie waren vogelfrei. Die Hohen ersannen immer neue Gebote und ein Kirchenrecht, das ihnen allein alle Macht gab, im klaren Gegensatz zu Jeschuas Intention. Und sie schulten und indoktrinierten die Menschengenerationen jahrhundertelang.

Die Menschen sind wie Vögel geworden, die in goldenen Käfigen auf ihren Trittstangen sitzen. Sie sehen nicht mehr, wie prächtig und einmalig jeder von ihnen ist, und vor allem sehen sie nicht, dass die Türen ihrer Käfige offen sind, denn Jeschua hat sie geöffnet und niemand kann sie wieder schließen.

In unserer Zeit sind die Möglichkeiten zur Selbstständigkeit so groß wie nie zuvor. Lasst uns Lieder spielen, die die Menschen dazu einladen, sich durch das belastende Gedankengut nicht mehr niederdrücken zu lassen, aus ihren goldenen Käfigen herauszukommen, nach Jeschuas einzigem Gebot zu leben, sein einziges Ritual miteinander zu feiern, auch ohne dass eine privilegierte Person anwesend ist, und ihr Leben und ihre Feiern in vielfältiger Weise zu gestalten. Das wird bitter notwendig sein, wenn wir bedenken, dass immer größere Teile der Erde radioaktiv verstrahlt oder auf andere Art zerstört werden. Dazu braucht man sich nicht untertauchen zu lassen und man muss keiner bestimmten Religion angehören.

In der Nachfolge Jeschuas drücke ich seit längerer Zeit diese Überzeugung so aus: Meine Kirchgemeinde ist die Menschheit und mein Gotteshaus ist die Erde.

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147. Shiva Natarāja  -  14. Oktober 2011

Als der Govinda Express in Wien gastierte, stand eine Statue des Shiva Natarāja in der Mitte vor der Band. Als in einem Lied "Natarāja Jai Shiva" gesungen wurde, erklärte Sundaram, der den Abend moderierte, die Symbolik der Statue.

Der Shiva Natarāja ist eine alte Liebe von mir. Ich habe die Statue zum ersten Mal bewusst gesehen, als ich im September 1982 an einem Taiji-Seminar von Chungliang Al Huang im Buddhistischen Zentrum Scheibbs teilnahm. Die Statue stand in der Mitte des Stiegenaufgangs und mich faszinierte der Schwung ihres Rückens. Es waren warme, sonnige Tage und als wir im Freien tanzten, sah ich auf einmal exakt denselben Schwung im Rücken von Chungliang. Es ging durch mich hindurch. Der Schwung in der Statue, in Chungliang und in mir - es war eins. Ich verstand: Das ist nicht Theorie, das ist Praxis und Leben.

Das Sanskritwort Natarāja bedeutet "der König des Tanzes". Es ist Shiva als König der Tänzer und Herr der Weltbühne. "Sein kosmischer Tanz stellt seine fünf Aktivitäten dar: Schöpfung, Erhaltung, Zerstörung, Verkörperung und Befreiung." (Aus: Lexikon der östlichen Weisheitslehren.)

Sein Tanz ist permanente Schöpfung von Neuem und Zerstörung des Ermatteten. Er zerstört, um wieder zu erschaffen; das ist seine Natur. Er hat vier Arme. Die kleine Trommel in seiner oberen rechten Hand erzeugt den Klang, der die Schöpfung hervorruft. In der oberen linken Hand brennt das Feuer, das die Zerstörung vornimmt. Die zweite rechte Hand macht die Geste des Schutzes vor dem Bösen und der Unwissenheit. Die zweite linke Hand zeigt auf den erhobenen Fuß und weist so auf das Aufrichten und die Befreiung hin. Der linke Fuß tanzt auf dem Dämon Mujalaka, was Shivas Sieg über die Unwissenheit darstellt. Der rechte Fuß ist hochgehoben, was den überbewussten Zustand bedeutet. Der Flammenkreis, in dem Shiva tanzt, repräsentiert den manifestierten Kosmos und auch den Kreis der Wiedergeburten, bis die Erlösung erreicht wird. Die Schlange, die um seine Taille wirbelt, ist die Kundalinī-Shakti, die Schlangenkraft oder kosmische Energie, die in allem wohnt. (Nach der englischen Wikipedia und dem Lexikon der östlichen Weisheitslehren.)

Man braucht diese tiefe Weltsicht nicht gegen die christliche auszuspielen. Eine Bemerkung über die Lehre von der Wiedergeburt ist trotzdem angebracht. Seit frühen christlichen Zeiten gibt es Menschen, die das christliche Dogma einer ewigen Verdammnis ablehnen. Auch ich lehne es ab. Aber für mich ist jedes Wesen im Kosmos, ob es sich um ein menschliches oder ein anderes Wesen handelt, etwas Einmaliges, Kostbares, Unverwechselbares, Unverlierbares. Jeder Mensch muss das, was er auf der Erde erlebt hat, nach seinem Tod aufarbeiten. Das bedeutet für mich nicht, dass Wiedergeburten notwendig sind. Es bedeutet aber auch nicht, dass ich die Möglichkeit von Wiedergeburten ablehne.

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146. Om shānti shānti shānti om  -  9. Oktober 2011

Gestern hat der Govinda Express ein Konzert in Wien gegeben, und Gerhild und ich waren dabei. Wir wussten davon, weil Veetkam, der Perkussionist, ein alter Freund von mir ist. Auf der Website der Band lese ich:

"Die Idee, Musik zu schaffen, die unsere Liebe für den Osten mit unserer musikalischen Tradition des Westens verbindet, ist der Grundgedanke für unseren ‘Govinda Express’. [...] Der Zug reist durch verschiedenste musikalische Stilrichtungen und Landschaften mit dem klaren Ziel, dein Herz zu erreichen."

Nach dem Lexikon der östlichen Weisheitslehren ist Govinda ein Name für Vishnu, von dem Krishna eine Inkarnation ist. Es ist auch eine häufig für Krishna gebrauchte Anrede.

"Om shānti shānti shānti om" gehört zu den Friedensmantras, zu den Gebeten um Frieden aus den Veden. Nach dem Lexikon der östlichen Weisheitslehren ist Om eine Manifestation der spirituellen Kraft, ein Symbol, das die Gegenwart des Absoluten bezeichnet. Shānti ist "der innere Friede, den man durch die spirituelle Erkenntnis erlangt, dass man nicht der sterbliche Körper ist, sondern unvergängliches Bewusstsein".

Auf der Website einer Musikschule habe ich noch die folgende Erklärung gefunden: Man singt "Om shānti om" für den Frieden mit sich selbst und mit allem, was ist.

Das Lesen von Erklärungen macht das Erklärte nicht lebendig. Lebendigkeit und einvernehmliche Stille stellen sich ein beim Rezitieren von Mantras oder Singen von Bhajans. Jedes "shānti" steigert die Stille. Gestern haben wir zusammen mit dem Govinda Express "Om shānti om" gesungen, wieder und wieder. Die innere Stille, die dabei entstanden ist, ist in mir bis heute da. Es ist die Stille, die weiß, dass wir geborgen sind, vom tiefsten Grund her, was auch immer geschieht. Es ist die Stille, die unsere fruchtbaren Handlungen trägt.

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145. Innere Leere  -  27. September 2011

Bei einem Informationsservice zu Depressionen wird die depressive Stimmung als ein Hauptsymptom beschrieben: "Die depressive Stimmung läßt sich am besten mit den Worten 'innere Leere' umschreiben."

Und in einem Internetforum, das sich mit Gedanken zum Leben beschäftigt: "Meistens krieg ich diese innere Leere, wenn ich grade Urlaub hab und der ganze Stress weg ist."

Und in einer Seminarfacharbeit an einem Gymnasium: "Ein Symptom für die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist das chronische Gefühl von innerer Leere und Langeweile."

Man muss aber die innere Leere nicht so negativ sehen. Wenn man sie annehmen kann, ist sie ein großes Geschenk, da sie einem unnötige und quälerische Aktivitäten erspart. Sie ist eine sanfte Lehrmeisterin, und in ihr entspringt die authentische Fülle.

In diesem Zusammenhang spricht der Buddhismus von Shūnyatā. Alles, was ist, kommt aus der Leere und weicht der Leere - welche Befreiung! Der Kernsatz des Herz-Sūtra wird im Lexikon der östlichen Weisheitslehren so formuliert: "Form ist nichts als Leere, Leere ist nichts als Form". Und das Herz-Sūtra endet mit den Worten: "Gate gate Pāragate Pārasamgate Bodhi svāhā." (Gegangen, gegangen, hinübergegangen, ganz hinübergegangen, o welch ein Erwachen!)

Das ist nicht einfach die Erfahrung des historischen Buddha. Das ist eine Erfahrung im Jetzt und Hier, für dich und mich.

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144. Zwischen Gehässigkeit und Freundlichkeit  -  26. September 2011

Heutzutage ist zwischen Gehässigkeit und Freundlichkeit nur eine Haaresbreite. Es ist daher notwendig, äußerst aufmerksam zu sein. Die Menschheit und die Erde stehen auf der Kippe. Das bezieht sich auf die Auseinandersetzungen mit autoritären Systemen in Wirtschaft, Politik und Religion. Das bezieht sich genauso gut auf die alltäglichen Beziehungen und auf die Vorgänge im Inneren der Menschen. Gift und Balsam sind nahe beieinander. Das ist nicht dualistisch gemeint, nicht so, als ob es das Böse und das Gute in Reinkultur gäbe.

"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Das ist ein Zitat aus der Patmos-Hymne von Friedrich Hölderlin. Es lässt sich auch umkehren: "Wo das Rettende wächst, dort lauert auch Gefahr". Diese Umkehrung betrifft uns heute sehr. Wir leben auf des Messers Schneide.

Viele Jahre lang wurde das besonders sichtbar in der Beziehung von Gerhild, meiner Frau, und mir. Von Beginn an waren das Rettende und die Gefahr im Keim gegeben, und stets wurde die Gefahr mehr beachtet als das Rettende, bis vor nunmehr fast acht Jahren die Wende kam, als wir nach Jahren der Trennung wieder zueinander fanden mit der Entschlossenheit, nun das Rettende zu sehen und Wirklichkeit werden zu lassen.

Achtsamkeit in jedem Augenblick ist angesagt bzw. die stets erforderliche Rückkehr zur Achtsamkeit. Die Zeit steht auf der Kippe in Bezug auf den Bewusstseinswechsel einzelner Menschen bzw. der Menschheit als Kollektiv. Jeder Mensch trägt Verantwortung für sich selbst und für das Kollektiv. Diese Verantwortung soll nicht aus Angst vor ewiger Verdammnis wahrgenommen werden, denn ewige Verdammnis ist keine Realität, sondern eine Ausgeburt rachsüchtiger Menschengehirne. Sie soll wahrgenommen werden aus brennender Sehnsucht nach der Fülle der individuellen und kollektiven Möglichkeiten, aus brennender Liebe, die alle diese Möglichkeiten verwirklicht sehen will, für alle Menschen.

In diesen Tagen ist die Kippsituation immer gegeben, je sensibler oder sogar sensitiver jemand ist, desto mehr. Wenn jemand sehr offen ist, kann sich das Äußere in seinem Inneren abbilden. Das beobachte ich bei mir. Es ist durchaus nicht immer erfreulich. Wenn ich nun das Bild des Äußeren, das in mir entstanden ist, verwandle: Was bedeutet das für das Äußere? Ich meine jetzt nicht einfach, dass ich meine Sicht auf das Äußere korrigiere, sondern ich ahne und erprobe eine fundamentale Möglichkeit: Wenn ich das Äußere in mir verwandle, verwandelt sich dann das Äußere unabhängig von mir? Wenn es so ist, dann ist eine strikte Trennung von Innerem und Äußerem gar nicht möglich.

Wenn etwas auf mich einwirkt, das ich als lieblos empfinde, und ich kann es verwandeln und etwas Liebevolles, Stärkendes in die Welt hinein senden, ist das dann nicht ein Metabolismus bzw. sogar ein alchemistischer Metabolismus? Ich meine, wenn es in Leichtigkeit und ohne Krampf geschieht. Das Senden geht einfach in die Welt hinein, nicht gezielt in die Richtung, aus der das als lieblos Empfundene gekommen ist. Es wird sich auswirken, entweder dort, wo es ausgelöst wurde, oder sonst wo. Und dann wird Energie frei. Einem selbst und anderen kann das erhebliche zusätzliche Energie liefern. Welche Art von Energie ist das? Es ist eine Energie, die physikalisch, chemisch, biologisch und sogar psychologisch wirken kann, eine unspezifische Energie, die sich individuell und kollektiv auswirkt und sogar über den menschlichen Bereich hinaus.

Wir dürfen nicht die Hybris entwickeln, die glaubt, mit solcher Energie mutwillige Zerstörungen rückgängig machen zu können. Was ich in diesem Baustein darüber geschrieben habe, wurde jedenfalls durch eigene Erlebnisse ausgelöst, und weitere Erlebnisse und Experimente werden nötig sein.

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143. Einsatz für die innerkirchlich Unterdrückten  -  26. September 2011

Jesus hat die Freiheit für alle Menschen verkündet und ganz besonders für die Armen und Gedemütigten, als er in der Synagoge von Nazaret die Schrift auslegte (Lk 4,16-21). Es ist unsere Aufgabe, die in der heutigen Zeit von brennender Dringlichkeit ist, den Menschen die Freiheit zu bringen bzw. dafür einzustehen, dass sie ihnen zugestanden wird.

Das heutige Wirtschaftssystem unterminiert die Demokratie und führt dazu, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Viele Menschen sehen das, fühlen sich aber unfähig, etwas zu verändern. "Dieses verbreitete Gefühl der Ohnmacht verrät, dass wir den demokratischen Freiheitsgeist noch nicht verinnerlicht haben, sondern nach wie vor in Herrschaftsstrukturen fühlen und leben. Wer an die eigene Ohnmacht glaubt, macht sich zum wertvollsten Verbündeten der Mächtigen." (Aus: Christian Felber, "Kooperation statt Konkurrenz - 10 Schritte aus der Krise", S.105.)

"Die ökonomischen Eliten haben das demokratische System unterwandert und vereinnahmt, es entscheidet in ihrem Sinne und nicht im Sinne der Bevölkerung." In dieser Situation ist direkte Demokratie dringend erforderlich. Denn der Souverän ist das Volk. "Machen die Repräsentantinnen und Repräsentanten des Souveräns nicht, was dieser will, dann muss er das Recht haben, seine Vertretung in der konkreten Sachentscheidung zu korrigieren (Volksinitiative) oder in der Funktion abzuwählen (Abwahlrecht)." (Ebd., S.116/117.)

Diese und viele andere Ausführungen von Christian Felber sind meiner Meinung nach nahtlos auf das hierarchische System der römisch-katholischen Kirche übertragbar. Sie können dort auf Strukturfragen, auf das Kirchenrecht und auf den Katechismus angewendet werden. Theologische Fragen sind hier nicht ausgenommen, denn der Geist Gottes beschränkt seine Wirkung nicht auf die, die die Macht an sich gerissen haben.

Die gesamte christliche Theologie liegt im Argen. Sogenannte Kirchenväter und Konzilien in nicht repräsentativer Zusammensetzung haben Orthodoxie definiert, alternative Anschauungen wurden mit dem Anathema (Bannfluch) belegt, verdrängt und vernichtet. Jede Menge von Gewalt wurde angewandt. Gegnern wurde die Existenzmöglichkeit geraubt, oft wurden sie auch umgebracht.

Die römisch-katholische Kirche definiert Hirtenamt, Lehramt und Priesteramt mit dem ungebremsten Egoismus der Machthaber. Gewaltentrennung (Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung nicht in einer Hand) ist weder an der Spitze der Kirche noch in den Diözesen gegeben. Änderungen sind dringend erforderlich.

Hirtenamt: Der Papst darf einfach nicht die volle und höchste Jurisdiktionsvollmacht über die gesamte Kirche, über alle Bistümer, alle Bischöfe und alle anderen Kirchenmitglieder besitzen. Alle kirchlichen Leitungsfunktionen - inklusive des CEO, der nicht Papst genannt werden sollte - sind demokratisch für eine bestimmte Frist zu wählen. Der Codex des kanonischen Rechts erfüllt nicht einmal Mindeststandards einer demokratischen Rechtsprechung. Es gibt keine Öffentlichkeit des Verfahrens, keine richterliche Unabhängigkeit, keine Akteneinsicht, keine ausreichende Begründung von Entscheidungen, usw. Eigentlich darf es gar kein eigenes Kirchenrecht geben, sondern nur ein Vereinsstatut.

Lehramt: Die Unfehlbarkeit des Papstes - allein oder zusammen mit dem Bischofskollegium - ist ein Ausdruck von Vermessenheit. Kein Mensch und kein Gremium ist unfehlbar. Die Kongregation für die Glaubenslehre (ursprünglich als Inquisition gegründet) ist ersatzlos aufzulösen. Ihren Platz hat ein kirchenübergreifender, demokratisch gewählter, Pluralität akzeptierender Theologenkonvent einzunehmen. Ein solcher würde alle bisherigen Ökumenebestrebungen ablösen und sie größtenteils überflüssig machen. Bei seinem Bestehen wäre es nicht zur Exkommunikation Luthers, zur Gegenreformation, zur gewaltsamen Rekatholisierung evangelischer Territorien und auch nicht zum Dreißigjährigen Krieg in dieser Form gekommen.

Priesteramt: Die Einteilung der Menschen in Bischöfe, Priester, Diakone, Laien und Unterlaien (das sind die laiisierten Priester, die weniger Rechte als die Laien haben) sowie der Ausschluss von Frauen und verheirateten Männern von gewissen Ämtern widerspricht den Menschenrechten. Insbesondere ist es absurd, die Rechtmäßigkeit einer Eucharistiefeier an den Bischof und ihre Durchführung an den Priester zu binden. Jesus selbst war kein Priester. Er hatte keine reguläre biblische Ausbildung abgeschlossen. Er war von niemandem ordiniert.

Diejenigen, die wie ich trotz allem aus der römisch-katholischen Kirche nicht austreten, sind verantwortlich für die Sorge um die Menschenrechte der innerkirchlich Unterdrückten. Daher haben wir vor einigen Jahren innerhalb der Bewegung "Wir sind Kirche" die Initiativgruppe "Kirche und Menschenrechte" (IKUM) gegründet. Diese Initiativgruppe hat dazu beigetragen, dass Veranstaltungen organisiert wurden und ein Taschenbuch herausgegeben wurde (Siehe IKUM). Es wäre jedoch genauso notwendig, Einzelpersonen zu unterstützen, die das Schicksal innerkirchlich Unterdrückter erleiden (Entzug der Missio, usw.).

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142. Gott hat keine Mutter  -  25. September 2011

Immer wieder ist mir in den letzten Wochen der Satz eingefallen: "Gott hat keine Mutter" (bzw. "God has no mother"). Wo finde ich diesen Satz im Internet?
Als Aussage einer evangelischen Großmutter.
Als Aussage eines Bibelkreises der Schweizer reformierten Kirchen.
Als Aussage eines Geistlichen von Keikyo, der syrischen Christen in Japan.
Als Aussage einer Frau, die zum Islam übergetreten ist.
Als Lehraussage in einem islamischen Katechismus.
Als Aussage der Organisation Ved Mandir, die sich auf die Veden bezieht.
In einer Lehraussage des Sikhismus, die auf dessen Gründer Nanak Dev zurückgeht.
Usw.

Als jüdische Aussage kommt der Satz nicht vor. Auf www.whatjewsbelieve.org finde ich jedoch den Satz: "Gott hat keinen Vater".

Osho hat in einem Vortrag gesagt: "Gott hat keinen Vater, keine Mutter."

Der Satz "Gott hat keine Mutter" ist selbstverständlich und er wird allgemein anerkannt, auch von der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen. Doch nach katholischer und orthodoxer Lehre wird Maria von Nazaret trotzdem als die Gottesgebärerin bzw. Mutter Gottes bezeichnet. Sie sagen, dass es sich dabei nicht um eine Aussage über Maria, sondern um eine Aussage über Jesus handelt, der durch diese Bezeichnungen als Gott gesehen wird. Aber den metaphysischen Satz "Jesus ist Gott" sage ich nicht. Über Jesus sage ich: Jesus wohnt im innersten Herzen Gottes. Der auferstandene Jesus hat die ganze Erde oder sogar den ganzen Kosmos als seinen Leib und sein Blut angenommen, mit allem Leid und mit dem Weg in die Vollendung. Er hat uns den Weg gebahnt, um selbst in die Vollendung hineinzuwachsen, die er erreicht hat, in unserem Leben, das mit dem Tod nicht endet. (Siehe: 81. Was hat Jesus mit Gott zu tun? bzw. 126. Das Christentum als Ersatzreligion.)

In meinem Buch "Jesus für alle" habe ich im Kapitel "Maria heute" geschrieben:

Ich bin immer mehr dazu gekommen, mich dogmenfrei auszudrücken. Trotzdem verwende auch ich die Bezeichnungen Gottesgebärerin und Mutter Gottes für Maria, aber nicht in dem Sinn, dass Maria die zweite Person der Trinität geboren hätte. Für mich enthält der Prolog des Johannesevangeliums eine tiefe Wahrheit: Das Sprechen Gottes, durch das alles, was ist und wird, entsteht, ist auf die Welt gekommen und in der Person Jesu Mensch geworden. Jesus hat sich als das erkannt und erlebt und hat es in eine Lebensgeschichte mit ungewisser Herkunft integriert, in eine Lebensgeschichte, die ihm in seinem erwachsenen Leben abwechselnd Bewunderung und Verachtung gebracht hat.

Dabei bleibe ich.

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141. Wer oder was ist mein Grund?  -  23. September 2011

In den Avatar-Kursen nach Harry Palmer haben wir den Satz immer wieder geübt, bis er verinnerlicht war: "Ich bin Ursprung" (englisch: "I am source"). Längst bin ich darüber hinaus.

Ich bin zur Gänze auf den tiefsten Grund bezogen. Der tiefste Grund ist der tiefste Grund. Es gibt Versuche, ihn auszudrücken. Im Daoismus spricht man vom Dao. Im Buddhismus spricht man vom Nirvāna. In den sogenannten monotheistischen Religionen spricht man von Gott. Alle damit verbundenen Versuche sind nur Annäherungen. Es kommt darauf an, sich ihm total zu überlassen.

Welche Aussagen kann ich mit dem tiefsten Grund in Beziehung bringen?
Urgrund. Ursprung. Urziel.
Liebe. Urliebe. Urkraft.
Die Quelle, aus der wir leben, existieren; die uns immer neue Horizonte schenkt.
Keine Person. Auch ich bin keine Person.
Nicht einer, also nicht durch Zahlen eingeschränkt.
Nicht Herr, denn das wäre Projektion von Feudalherrschaft.
Nicht allmächtig, nicht allwissend, denn das wäre Projektion von übersteigerten Eigenschaften.
Keine Trinität.
Wenn als ein Vater, dann auch als eine Mutter gesehen.
Nicht Materie. Nicht Geist. Drückt sich in allem aus, ohne es zu sein.
Kann nicht benannt, nicht bezeichnet werden.
Wir können uns ihm vollständig anvertrauen.
Wenn man sich ihm vollständig hingibt, so ist das zugleich eine vollständige Hingabe an die Menschheit und den Kosmos. Nicht global, sondern immer im Detail. In jedem Augenblick und darüber hinaus.

In meinem Buch "Hände weg, doch pack an" habe ich bei der Bearbeitung des 35. Kapitels des Daodejing geschrieben:

Das Namenlose,
es ist nicht verborgen und es ist nicht offenbar.
Es ist nicht Ursprung, Weg und Ziel.
Es lässt sich so nennen,
doch es lacht über alle Namen.
Es ist großzügig und hört niemals auf,
dich zu beschenken.

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140. Die kleine Insel Susak  -  23. September 2011

Auf der kleinen Insel Susak in Kroatien haben Gerhild und ich in der ersten Septemberhälfte 2011 zwei erquickende Wochen verbracht. Die Insel ist ein Naturphänomen. Auf Kreidekalkfelsen, die aus dem Meer ragen, haben sich hohe Schichten von Tonsandstein abgelagert. Die beiden Badebuchten verfügen über Sandstrände, und der Sand reicht hier weit ins Meer hinein. Das Meer ist total sauber. "Die Luft, die man einatmet, hat im Meer, das die Insel umgibt, gebadet, sodass man mit ihr zusammen mehr als sechzig Elemente einatmet, von denen der Organismus alle diejenigen absorbiert, die ihm gefehlt haben." (Aus: Website von Haus "Stephania" auf Susak.)

Auf der Insel ist jeder Neubau streng verboten. Es sind jedoch genug alte Häuser zum Verkauf ausgeschrieben. Es gibt hier keine Hotels, keine Diskos und Tanzterrassen und keine Fabriken. Gäste wohnen in Fremdenzimmern oder Apartments, was in userem Fall ein eigenes kleines Haus bedeutete. Es gibt keine Autos und keine Straßen, mit Ausnahme einer schmalen Sandstraße, die in weitem Bogen vom unteren in den oberen Ort führt. Menschen gehen auf Treppenwegen von unten nach oben. Güter werden mit Schubkarren befördert oder mit kleinen Dieselkarren, die wie Motorräder gelenkt werden und nicht mehr als zwanzig Stundenkilometer fahren. Die Insel verfügt jedoch über keine Tankstelle. Das Landesinnere ist grün: Schilf, Bambus, Brombeersträucher, Weingärten, Kirschbäume, Akazien.

Als wir, von Mali Lošinj kommend, mit dem Schiff auf Susak ankamen, war der Unterschied für mich überwältigend. Dort ein Touristenort mit penetranter Betriebsamkeit, hier ein Ort der heilsamen Ruhe.

Als ich im März 2003 in einer kleinen Schweizer Reisegruppe mit Beduinen und Kamelen in der tunesischen Wüste unterwegs war, schrieb ich das folgende kleine Gedicht:

ein buch lesen?
unmöglich
wo doch die wüste
spricht und spricht
mit majestätischer
deutlichkeit

Ich gebe zu, dass ich auf Susak immer wieder eine Zeitschrift oder ein Buch gelesen habe. Dennoch war hier das Wüstenerlebnis wieder da, die unmittelbare, stille, nährende und heilende Präsenz der Erde und des Kosmos.

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139. Dahinter der Mond  -  18. August 2011

Als Gerhild und ich mit den Hunden heute Abend im Wald umkehrten, schimmerte das letzte Tageslicht durch die Bäume. Als wir uns dem Laternenweg näherten, einem Waldweg, der vom Bahnhof zu unserer Siedlung führt, begannen die Laternen zu leuchten. Unwillkürlich deckte ich mit einer Hand die Laterne in meinem Blickfeld ab, damit sie mir die Atmosphäre des endenden Tages nicht zerstören konnte. Dort das statische, plakative, liebliche Licht der Laterne, hier die dynamische, lebendige, sprechende Stille des letzten Tageslichtes hinter den schwarzen Silhouetten der Bäume.

Die Erfindungen des Menschen können mit der Ausstrahlung der Natur nicht konkurrieren. Ein besonderes Erlebnis dieser Art hatte ich an einem 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, als ich in Bern an der Aare stand, dem Fluss, der die Altstadt umrundet. Es gab Böllerschüsse, unzählige Lichtschiffchen schwammen den Fluss hinunter und ein Feuerwerk breitete sich am Himmel aus. Doch dahinter erhob sich unverwechselbar und unstörbar der fast volle Mond. Er war für mich der eigentliche Träger des Lebens an diesem Abend. Auf alles andere konnte ich verzichten. Und ich schrieb das folgende Gedicht:

lichtschiffchen
auf dem fluss
darüber
der mond
böllerschüsse
feuerwerk
dahinter
der mond
lichtschiffchen
böllerschüsse
feuerwerk
darüber
dahinter
der mond

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138. Das, was uns bleibt  -  8. August 2011

Der Sommer ist in diesem Jahr regenreich, aber in der letzten Zeit gab es doch ein paar sommerlich warme, sonnige Tage. Als Gerhild und ich mit den Hunden an einem solchen Tag durch den Wald gingen, nahm ich etwas Neues wahr. Ich versuche nun aufzuschreiben, was es ist.

Schon vor vielen Jahren begann ich, in der Natur das Besondere des Frühjahrs zu spüren. Ich sah nicht nur das Sprießen, Grünen und Blühen, sondern ich spürte auch die Kraft, die da im Inneren wirkt. Jahre später, als ich in einer kleinen Reisegruppe zusammen mit Beduinen und Kamelen zehn Tage lang in der tunesischen Wüste unterwegs war, begann ich, das Besondere der Tageszeiten zu spüren, des Sonnenaufgangs, des Sonnenuntergangs, des Tages und der Nacht.

Und nun, wo der Spätsommer eingesetzt hat, spüre ich nicht nur die Kraft, die ihr Werk getan hat und sich schon zurückzieht. Zum ersten Mal spüre ich darüber hinaus, dass da etwas ist, unabhängig von der Zeit und von unserer Vorstellung von Ewigkeit, etwas, das in allen Jahreszeiten mit da ist. So gesehen ist alles mit da, alles zugleich. Das heißt auch, dass ich unendlich bin, und dass du unendlich bist.

Wenn ich das nicht hätte, wenn du das nicht hättest, bliebe uns nur das Werden und Vergehen.

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137. Ist die heilige Schrift eine heilige Kuh?  -  3. August 2011

Zunächst einmal muss ich angeben, was ich in diesem Beitrag unter "heiliger Schrift" und "heiliger Kuh" verstehen will. In den religiösen Überlieferungen Indiens gilt die Kuh als physische und spirituelle Ernährerin und darf nicht geschlachtet werden. Im übertragenen Sinn ist mit "heiliger Kuh" eine Regelung gemeint, die nicht hinterfragt und nicht geändert werden darf. Ich beziehe mich auf den übertragenen Sinn.

Unter heiligen Schriften versteht man nach der Brockhaus-Enzyklopädie Sammlungen religiöser Texte, die von einer Religionsgemeinschaft anerkannt (kanonisiert) sind. Unter heiliger Schrift im engeren Sinn versteht man im Judentum Tanach und Talmud, im Christentum die Bibel und im Islam den Qur'an. Bei diesen Religionen wird nach Wikipedia zwischen Texten, die als Gottes Selbstmitteilung gelten oder diese enthalten, und ihrer menschlichen Auslegung unterschieden. Ich beziehe mich sowohl auf den weiteren als auch auf den engeren Sinn.

Für mich ist die menschliche Einwirkung auf die heiligen Schriften von Judentum und Christentum (den Islam habe ich nicht untersucht) stark und nicht zu übersehen. Diese Einwirkung erfolgt einerseits bei der Kanonisierung. Die Kanonisierung bedeutet meiner Meinung nach nicht die Trennung des rechten Glaubens von den Irrlehren und auch nicht die Trennung des Bedeutenden vom Unbedeutenden, sondern die Trennung des Genehmen vom nicht Genehmen, die Durchsetzung der Ansichten der kirchenpolitisch und politisch mächtigsten Persönlichkeiten und Gruppen, die Einschränkung des freien Spiels der Kräfte, die alle zum Gesamtbild der Religionen beitragen wollen. Durch das Ausscheiden von Schriften, die als unerwünscht oder unbedeutend eingestuft wurden, sind in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung viele Texte verloren gegangen, die für uns von Interesse sein könnten.

Andererseits erfolgt die menschliche Einwirkung beim Verfassen der heiligen Schriften. Die heiligen Schriften sind nicht wörtlich von Gott eingegeben oder diktiert ("Wort des lebendigen Gottes"). Es ist auch nicht so, dass die volle göttliche Inspiration von Menschen umgesetzt werden konnte ("Wort Gottes in menschlicher Sprache"). Meiner Meinung nach ist es vielmehr so, dass Menschen mit mehr oder weniger Hingabe an Gott beim Formulieren der heiligen Schriften ihre eigenen Theologien entwickeln. Im zweiten Bundesbuch betrifft das z.B. nicht nur die Briefe, sondern auch die Evangelien. Jedes der vier kanonischen Evangelien hat seinen eigenen Blick auf Jesus, sein eigenes Verständnis, wer er war, was er wollte und was er nach seinem Tod und seiner Auferstehung für uns ist.

Weder die heilige Schrift noch die Beschlüsse der sogenannten ökumenischen Konzilien der alten Kirche sind für mich eine heilige Kuh. Ich habe in meinen Büchern Schrifttexte teilweise radikal bearbeitet und eine eigenständige Theologie unabhängig von den alten Beschlüssen entwickelt.

Als Beispiel für einen geänderten Text, der zugleich einer geänderten Theologie entspricht und für mich wahrer als das Original ist, bringe ich nun Mt 22,14.

In der Fassung der Menge-Bibel: "Viele sind berufen, aber wenige auserwählt."

In meiner Fassung im Buch "Botschaft ohne Grenzen": "Alle sind berufen, und wer berufen ist, ist auch auserwählt."

Kein Mensch darf verloren gehen. Dabei mitzuhelfen, dazu bin ich da, als ein beginnender christlicher Bodhisattva, als ein beginnender Miterlöser in der Nachfolge Jesu, als einer von vielen, die das restlose aufeinander Angewiesensein aller Menschen und aller Wesen verstanden haben und leben und ausleben wollen.

(Siehe auch: Meine Bausteine 31. Was ist heilige Schrift?, 59. Die Grenzen der heiligen Schrift, 75. Heilige Schriften und anderes Heilige.)

Feedback von Rudolf Kreindl:

Einige Fragen, die mir gekommen sind:
Ist die "heilige Schrift" heilig?
Ist der "heilige Stuhl" heilig?
Wer ist der "heilige Vater"?
Da viele (auch gläubige) Menschen sich mit dem Begriff "heilig" schwer tun oder nichts mehr anfangen können, sollte die Kirche eine Sprache finden, die auch von Menschen unsrer Zeit verstanden wird.

Viele Sätze der Bibel sehen wir heute in neuem Licht. Sie ist kein fertig vollendetes Buch - das Zusammenwirken von Gott und Mensch findet täglich eine neue Fortsetzung.

Anmerkung vom 15. Dezember 2011:

Wir alle kennen den Unterschied zwischen "heilig" und "scheinheilig".

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136. Habsburg und die Gegenreformation  -  22. Juli 2011

Otto Habsburg-Lothringen, Sohn des letzten österreichischen Kaisers und ungarischen Königs, wurde vor wenigen Tagen in Wien in der Kapuzinergruft zur letzten Ruhe gebettet - ohne sein Herz, denn das Herz wurde in Ungarn bestattet. Der Kommentar eines Lesers des Internet-Standard zu diesem Ereignis erinnert an die Durchsetzung der Gegenreformation durch die Habsburger. Auf diesen Kommentar beziehe ich mich im Folgenden.

Wie war das also mit der Durchsetzung der Gegenreformation? Das reformatorische Gedankengut breitete sich in den habsburgischen Ländern rasch aus. Um 1520 trat ein großer Teil des Adels zur lutherischen Reformation über. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde der Grundsatz "Cuius regio, eius religio" festgelegt. Somit hatten die Territorialherren, und nicht mehr der Kaiser, das Recht, die Religion für sich und ihre Untertanen zu wählen. Die geistlichen Territorialherren wurden allerdings ausgenommen. Sie mussten katholisch bleiben oder ihre Herrschaft aufgeben. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Blütezeit der Reformation in den  habsburgischen Ländern. Nach Schätzungen waren rund 70% der Bevölkerung evangelisch, in Böhmen sogar 90%.

Die wichtigste Kraft der Gegenreformation war der 1534 gegründete Jesuitenorden. Entscheidende Grundlagen für die Gegenreformation wurden im Konzil von Trient (1545 - 1563 mit Unterbrechungen) geschaffen. Kaiser Ferdinand II. aus dem Haus Habsburg (ab 1595 Landesherr von Innerösterreich, ab 1619 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) trat entschlossen für Absolutismus und Gegenreformation ein. Von ihm ist der Ausspruch überliefert: "lch werde lieber über die Wüste herrschen, lieber Wasser und Brot genießen, mit Weib und Kind betteln gehen, meinen Leib in Stücke hauen lassen, als die Ketzer dulden." Entscheidend für das Schicksal auch des österreichischen Protestantismus war die Schlacht am Weißen Berg bei Prag (1620), durch die die protestantischen Stände das Privileg der Religionskonzession verloren.

"Die systematische Gegenreformation in den österreichischen Habsburgerländern setzte ein. Evangelische Prediger und Lehrer wurden des Landes verwiesen, evangelische Kirchen zerstört, Bücher und Schriften verbrannt. Bürger und Bauern wurden vor die Alternative gestellt, auszuwandern oder katholisch zu werden ... Tausende wanderten aus, viele wurden wieder katholisch, manche gingen einen dritten Weg: Sie wurden nach außen hin katholisch, blieben aber im lnneren evangelisch. Vor allem in schwer zugänglichen gebirgigen Tälern des heutigen Kärnten und Oberösterreich konnten sich so Geheimprotestanten mit raffinierten Verstecken der Bibel und Predigtbücher über die Jahrzehnte retten." (Aus: Website der evangelischen Kirche Österreichs.)

Diese Situation änderte sich erst, als Kaiser Josef II. im Jahr 1781 das Toleranzpatent erließ, das evangelisches Leben unter bestimmten Voraussetzungen auch öffentlich duldete.

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135. Die nichtchristlichen Wurzeln Europas  -  15. Juli 2011

In letzter Zeit wird auffällig oft von den christlichen Wurzeln Europas gesprochen, wobei die Angst vor dem Islam eine Rolle spielt. Daher werfe ich jetzt einen kurzen Blick auf die nichtchristlichen Wurzeln Europas, anhand der Namen der Wochentage im Deutschen, Englischen, Französischen und Italienischen. Ich greife dabei auf die Brockhaus-Enzyklopädie und die Wikipedia zurück.

Montag (deutsch) - Monday (englisch) - Lundi (französisch) - Lunedì (italienisch): Tag des Mondes, Lehnübersetzung von lateinisch dies lunae (Tag der Mondgöttin Luna) bzw. griechisch hēméra selēnes (Tag der Mondgöttin Selene).

Dienstag (deutsch) - Tuesday (englisch) - Mardi (französisch) - Martedì (italienisch): Das deutsche Wort wird abgeleitet von Mars Thingsus, einem Beinamen des Gottes Tyr (Kriegsgott Mars als Thingbeschützer). Das englische Wort bedeutet Tag des Tyr. Das französische und das italienische Wort sind Lehnübersetzungen von lateinisch dies martis (Tag des Kriegsgottes Mars) bzw. griechisch hēméra areōs (Tag des Kriegsgottes Ares).

Mittwoch (deutsch) - Wednesday (englisch) - Mercredi (französisch) - Mercoledì (italienisch): Das englische Wort bedeutet Tag des Wodan. Der Gott Wodan wurde von den Germanen mit dem Gott Mercurius (Merkur) gleichgesetzt. Das französische und das italienische Wort bedeuten Tag des Merkur.

Donnerstag (deutsch) - Thursday (englisch) - Jeudi (französisch) - Giovedì (italienisch): Im Deutschen und Englischen ist der Tag nach dem Donnergott Donar oder Thor benannt. In der Antike war es der dies iovis (Tag des Jupiter), was in der französischen und in der italienischen Bezeichnung erhalten geblieben ist.

Freitag (deutsch) - Friday (englisch) - Vendredi (französisch) - Venerdì (italienisch): Im Deutschen und Englischen ist der Tag nach der Liebesgöttin Frija benannt. In der Antike war es der dies veneris (Tag der Liebesgöttin Venus), was in der französischen und in der italienischen Bezeichnung erhalten geblieben ist.

Samstag (deutsch) - Saturday (englisch) - Samedi (französisch) - Sabato (italienisch): Das deutsche, das französische und das italienische Wort kommen von griechisch sabbaton, das auf eine Gleichsetzung mit dem Tag des Saturn zurückgeht. Das englische Wort kommt von lateinisch dies saturni (Tag des Saturn).

Sonntag (deutsch) - Sunday (englisch) - Dimanche (französisch) - Domenica (italienisch): Das deutsche und das englische Wort kommen von lateinisch dies solis (Tag des Sol Invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes). Das französiche und das italienische Wort sind christliche Bezeichnungen. Sie bedeuten Tag des Herrn.

Fast durchgehend sind in diesen Namensgebungen die griechische, die römische und die germanische Götterwelt erhalten. Die Römer haben weitgehend ihre Götter mit den griechischen identifiziert. Die Germanen haben teilweise ihre Götter mit den römischen gleichgesetzt. Das christliche Gedankengut wurde teilweise darauf aufgesetzt und hat das Ältere teilweise verdrängt. Doch das Ältere lebt weiter und muss voll rezipiert und gewürdigt werden - ohne den Wert dessen, was Jesus in die Welt gebracht hat, aus den Augen zu verlieren.

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134. Kongeniale Paare  -  2. Juli 2011

Seit ich zu meiner Weihe an das Herz der Maria von Nazaret die Weihe an das Herz der Maria von Magdala hinzugefügt habe und diese Weihe täglich erneuere, beobachte ich in mir eine Akzentverschiebung. Ich erlebe die Gefährtin Jesu in größerer Nähe als die Mutter. Wieso ist es dazu gekommen und wie hat das alles begonnen?

Es hat damit begonnen, dass ich den Roman "Moondancer - Flucht in die Hoffnung" von Astrid Gavini gelesen habe. In diesem Buch kommen zwei Menschen einander langsam näher, bis sie schließlich eins werden. Er ist ein heiliger Mann der Oglala-Lakota und ist dabei, in den Menschen seines Volkes, die in der Pine Ridge Reservation dahinvegetieren, den Lebensgeist neu zu aktivieren - bis der Hass und Hochmut weißer Bevölkerungsteile und Polizeieinheiten eingreift. Sie ist eine sensible Europäerin, die ihr Medizinstudium abgebrochen hat und zu psychiatrischer Behandlung gezwungen wurde - sie hat Fähigkeiten, die von der Gesellschaft dringend benötigt würden, aber als krankhaft eingestuft werden. Er und sie sind eine Einheit für die Erneuerung der Erde. Nach ihrer Flucht vor den toddrohenden Verfolgungen können sie nur noch im Verborgenen wirken. Sein Name ist Running Deer. Ihr Name ist Elisa. Für mich sind die beiden mehr als Romanfiguren. Sie sind eine Realität. Sie sind wirklichen Menschen nachempfunden, die Ähnliches erlebt haben und Ähnliches in die Welt bringen - als kongeniales Paar, das zu einer Einheit geworden ist.

Gerhild, meine Frau, und ich sind zu einer solchen Einheit geworden. Zwischendurch waren wir sieben Jahre lang getrennt. Kämpfe und Reifung waren erforderlich und Entscheidung und Geschenke.

Zum Prototyp eines kongenialen Paares sind für mich Jesus von Nazaret und Maria von Magdala geworden, nicht wegen der Legenden, die über sie schon früh entstanden sind, und nicht wegen der Romane, die über sie bis heute geschrieben werden. Sondern für mich ist es wie der letzte Stein eines Puzzles - und ein klares Bild wird sichtbar. Mein Herz wendet sich ihm zu.

Daher ist es zu dieser Akzentverschiebung in mir gekommen. Die Gefährtin ist für mich anders und intensiver mit Jesus verbunden als die Mutter. Als mich Gerhild unlängst auf die Wichtigkeit der Mutter aufmerksam machte, antwortete ich ihr, im Hinblick auf unsere Beziehung:
"Meine Mutter ist für mich Leben gebend. Du bist für mich Leben entscheidend."

(Siehe auch: Mein Baustein 127. Aspekte der Weihe.)

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133. Das Gesetz der inhärenten Transformation und seine Grenzen  -  2. Juli 2011

Im Schlusskapitel des Buches "Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden - Wie die Bibel wurde, was sie ist" von Bart D. Ehrman entwickelt der Autor eine Idee, die ich jetzt verallgemeinernd das Gesetz der inhärenten Transformation nennen möchte. Gemeint ist, dass jeder menschlichen Kommunikation, die in Worten erfolgt, ob es sich nun um das Lesen eines Textes oder um ein Gespräch handelt, eine Transformation inhärent ist. Wenn ein Satz gehört oder gelesen wird, so bezieht sich der/die Lesende oder Hörende auf seinen/ihren Erfahrungshorizont und Erlebniszusammenhang. Von diesem Eigenen her wird das Gelesene oder Gehörte verstanden und es wird der Versuch gemacht, es mit den eigenen Worten auszudrücken. Dabei wird es umformuliert, verändert. Ja selbst, wenn die Worte nicht geändert werden, besteht doch die Gefahr, dass bei einigen der Worte keine Übereinkunft über ihre Bedeutung und ihren Sinn herrscht. Es erfolgt also eine Transformation von meiner Erlebniswelt in deine Erlebniswelt und umgekehrt.

Wo hat dieses Gesetz seine Grenzen? Vor allem in der Fähigkeit zu multidimensionalem Schauen und Denken. Wenn ich die Fähigkeit entwickle, andere Erlebniswelten als meine wirklich wahrzunehmen, und diese anderen Erlebniswelten parallel zu meiner im Blick zu haben, während eine Kommunikation erfolgt, so verliert das Gesetz seine Wirkmacht. Um diese Fähigkeit zu erlangen, ist große Bereitschaft zu lernen erforderlich - und große Liebe zu allen Menschen und zu allem, was existiert.

Dass möglichst viele Menschen in diesem Sinn schauen, denken und handeln lernen, ist ein entscheidendes Kriterium für das Gelingen der neuen Zeit, deren Heraufkommen dringend notwendig und in unsere Hände gegeben ist.

(Siehe auch: Mein Baustein 22. Verständnis und Kontext.)

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132. Eine revolutionäre Kamera als Beispiel für Multidimensionalität  -  28. Juni 2011

Ein Unternehmen aus Silicon Valley plant, bis Ende 2011 eine sogenannte Lichtfeldkamera auf den Markt zu bringen. Bei dieser Kamera kann der Schärfepunkt des Bildes per Software im Nachhinein beliebig verschoben werden, neue Effekte können erzeugt werden, unscharfe Bilder können scharf gemacht werden.

In der Zeitung Standard vom 22. Juni 2011 schreibt Wilhelm Zsolt dazu: "Eine Kamera, die weitaus mehr Licht von vielen verschiedenen Winkeln einfängt, als ein herkömmlicher Apparat. Dabei kommt ein spezielles 'microlens array' zum Einsatz, das wie eine Fülle gebündelter Linsen multiple Bildinformationen aufnehmen kann. Ein neuartiger Lichtfeldsensor verarbeitet indes erstmalig komplette Lichtfelder - die Farben, die Intensität und die Richtungsvektoren aller Lichtwellen im erfassten Bildausschnitt." Herkömmliche Kameras können die Richtungsinformation nicht festhalten.

Das menschliche Auge verfügt zwar über keine Mikrolinsenmatrix, aber über eine Linse mit flexibler Brennweite. Und im Gehirn werden Sequenzen von Empfindungen zu Wahrnehmungsfeldern und Reihen von Empfindungen und Wahrnehmungen zu Vorstellungsfeldern gemacht. In jedem Augenblick stehen dem Menschen reiche und weite Felder dieser Arten zur Verfügung. Je größer seine Angst ist, umso mehr werden diese Felder verengt und in der Anzahl reduziert. Je angstfreier er ist, umso weiter wird sein Horizont, umso größer ist die Anzahl der Blickwinkel, die ihm simultan zugänglich sind, der eigenen Blickwinkel und der Blickwinkel anderer Menschen.

Dabei ist die Angstfreiheit nicht das einzige Kriterium. Ein wenig Übung gehört schon auch dazu. Davon habe ich in meinem Baustein 41. Liebe und Multidimensionalität etwas mitgeteilt.

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131. Orthodox, heterodox oder multidox?  -  17. Juni 2011

Gestern hatten meine Frau und ich folgendes Gespräch:

Werner: "Ich habe jetzt das Buch 'Der Traum des Königs Nebukadnezar' von Roger Lenaers zu lesen begonnen. Nach dem Lesen der Einleitung sehe ich folgende Unterschiede zwischen ihm und mir:
Er möchte die alten Glaubensinhalte in einer neuen Sprache ausdrücken.
Ich stelle vieles an den alten Glaubensinhalten infrage.
Er sagt, die kirchliche Sprache hängt noch in den Formulierungen des Mittelalters.
Ich sage, die kirchlichen Glaubensinhalte hängen noch in den Vorstellungen der Antike.
Er sagt von sich, dass er orthodox ist.
Ich sage von mir, dass ich heterodox bin."

Gerhild: "Du bist nicht heterodox. Du bist multidox."

Damit hat sie recht. Wenn man einmal mit dem multidimensionalen Schauen und Denken begonnen hat, kann man nur noch multidox sein.

Ergänzung vom 28. Juni 2011:

Zwei weitere Unterschiede zwischen Roger Lenaers und mir sind die folgenden:
Er spricht vom Übergang zu einem neuen Axiom.
Ich spreche vom Übergang zu einer Zeit, wo es kein dominierendes Paradigma mehr gibt. Das Heraufkommen des multidimensionalen Schauens und Denkens bedeutet das Ende der Paradigmen.
Für ihn gibt es keine übersinnlichen Erfahrungen.
Für mich schon, z.B. diejenigen, die ich selbst gehabt habe.

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130. Kind oder Mann?  -  11. Juni 2011

In dem zu Tode zitierten Hohen Lied der Liebe (1 Kor 13,1-13) steht ein Satz des Paulus von Tarsus, den ich jetzt in verschiedenen Übersetzungen anführe:

"Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, hatte einen Sinn wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; seit ich aber ein Mann geworden bin, habe ich das kindische Wesen abgetan." (Menge-Bibel)

"Einst, als ich noch ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, ich fühlte und dachte wie ein Kind. Als ich dann aber erwachsen war, habe ich die kindlichen Vorstellungen abgelegt." (Gute Nachricht Bibel)

"Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Als ich ein Mann geworden war, legte ich das Kindhafte ab." (Schöningh´sche Bibel)

"Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war." (Einheitsübersetzung)

In meiner Bearbeitung (im Buch "Botschaft ohne Grenzen") habe ich einen Satz hinzugefügt:
"Als ich ein Kind war, da fühlte und dachte und redete ich wie ein Kind. Als ich erwachsen wurde, legte ich das Kindische ab. Als ich älter wurde, achtete ich darauf, das Kindliche zu bewahren."

Für "Kind" steht im Griechischen "nepios", für "das Kindhafte" steht "ta tou nepiou". "Nepios" heißt wörtlich "der die Sprache noch nicht beherrscht", also das ganz kleine Kind. Es heißt dann auch "unmündig", "unerfahren", "unwissend" sowie "kindisch", "unreif". In dem oben zitierten Satz sagt Paulus von sich selbst, dass er diesen Zustand abgelegt hat. In 1 Kor 3,1ff sagt Paulus den Gemeindemitgliedern von Korinth, dass sie immer noch wie unmündige Kinder sind.

Ein ganz kleines Kind ist nicht kindisch. Das erlebe ich an meinem Enkel Levi, der vor ein paar Wochen drei Jahre alt geworden ist. Wenn das Ursprüngliche, Echte eines solchen Kindes beim Erwachsenwerden verloren geht, so muss es wiedergewonnen werden. Erst dann ist man zu vollem Leben erwacht. Und dann gibt man keine solchen Sätze mehr von sich wie den Satz in 1 Kor 13,11.

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129. Die Zeit der Religionen ist vorbei  -  9. Juni 2011

Einer meiner Wahlsprüche ist: Selber schauen, selber denken, selber leben.

Man muss selber schauen, wie sich etwas verhält. Man muss selber denken, was daraus folgt, und es selber in Worte fassen. Und man muss selber die Konsequenzen daraus ziehen, selber danach leben. Dazu ist Selbstständigkeit erforderlich. Diese Regeln entsprechen dem, worauf sich die Menschheit als Ganzes zubewegt.

Gerhild, meine Frau, sagte gestern Abend zu mir: "Ich fühle mich eigentlich zu keiner Religion mehr vollkommen zugehörig. Ich ziehe mir die Teile heraus, die ich akzeptieren kann."

Es gibt die Schlagworte vom religiösen Supermarkt bzw. vom religiösen Selbstbedienungsladen.

"Hier hat sich ein institutionsunabhängiger religiöser Supermarkt entwickelt, in dem Bausteine aus allen religiösen Traditionen der Kultur- und Religionsgeschichte, der Naturvölker und der esoterischen Wissensformen alter und neuerer Hochkulturen bereitliegen und von den nach Sinn suchenden Individuen zu ganz individuellen Bündeln geschnürt werden." (Aus: "Märkte und Monopole: Religiöse Sinnstiftung aus soziologischer Sicht" von Ingo Mörth.)

"Die Einstellung ist weit verbreitet, dass jeder und jede das für ihn oder sie Richtige aus dem Selbstbedienungsladen der Religionen auswählen und damit 'selig' werden solle." (Aus: "Auf Leben und Tod oder völlig egal. Kritisches und Nachdenkliches zur Bedeutung der Bibel" von Joachim Kügler und Werner H. Ritter.)

Man muss diese Schlagworte nicht negativ sehen, nicht als Ausdruck fehlender Verantwortung und fehlenden Überblicks, sondern sie können auch Ausdruck hoher Verantwortung, von Verpflichtung und Hingabe sein, wie eben bei Gerhild.

"Das heutige Christentum ist eine zersplitterte Religion. Es setzt sich aus vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Abspaltungen zusammen. So ist die moderne christliche Religion einem riesigen Selbstbedienungsladen für den Glauben vergleichbar." (Aus: "Die Kirche Jesu Christi: Wahrheit und Fälschung" von Roger Foster.)

In diesem Selbstbedienungsladen gibt es meiner Meinung nach unvergängliche Schätze und sehr viel Zeitbedingtes, wobei das Unvergängliche mit dem Zeitbedingten oft sehr verwoben ist. Um das Unvergängliche spüren und sehen zu können, bedarf es einer Zuwendung mit dem Herzen, in Lebendigkeit, mit Konsequenzen im täglichen Leben. Zum Unvergänglichen gehört keinesfalls alles, was in der Bibel steht, und keinesfalls alles, was die ersten sieben "ökumenischen" Konzilien herausgegeben haben. Bei der Arbeit an meinem Buch "Jesus ohne Dogmen" ist mir das klar geworden.

Ich gehöre zu Jesus, in allen meinen Lebensäußerungen. Dieser Jesus kann nicht einfach von den Kirchen usurpiert werden. Er ist für alle Menschen da und hat darüber hinaus ein kosmisches Leben.

"Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man das den Menschen durch Worte - seien es theologische oder fromme Worte - sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und d.h. eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein." (Aus: "Widerstand und Ergebung - Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft" von Dietrich Bonhoeffer, S.140.)

Das hat Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1944 geschrieben. Und wo stehen wir heute? Der Trend zur Säkularisierung ist in Europa unaufhaltsam. Der Schrei nach Freiheit ist in den arabischen Staaten im Jahr 2011 unüberhörbar erklungen.

Was wird von all den Religionsgesellschaften übrig bleiben, den christlichen und den anderen? Wenn es gut geht, werden sie ihre Macht verlieren und die Formulierung ihrer Bekenntnisse wird nicht mehr normiert sein. Dann werden sie Jesus näher sein. Dann wird es anerkannt sein, dass man zu Jesus gehören kann, auch ohne getauft zu sein. Dann wird eine neue Kultur des Miteinanderlebens in Reichweite sein.

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128. Das Grundgesetz des Kosmos  -  9. Juni 2011

Das Grundgesetz des Kosmos ist folgendes: Jedes Wesen will lieben und geliebt werden.

Das Wort "Wesen" ist dabei im allgemeinsten Sinn zu verstehen. Es handelt sich um die Stein-, Erd-, Feuer-, Wasser- und Luftwesen, um die Pflanzen- und Tierwesen, zu denen auch das "Tier Mensch" (Desmond Morris) gehört. Auch Wesen wie Engel und Dämonen gehören dazu und kosmische Wesen, die sich unserer Wahrnehmung entziehen.

Eine Anwendung des Satzes lautet: Gott will lieben und geliebt werden.

Dabei können wir nicht sagen, dass Gott ein "Wesen" ist. Der Satz in dieser Form sprengt also alle unsere Vorstellungen. Er enthält eine unermessliche Flut von Geben und Nehmen. In diese Flut hinein können wir uns bergen, von und mit dieser Flut können wir leben.

Wer das einmal erfasst hat, hat eigentlich keinen Feind mehr. Es gibt in seinem Leben vielleicht Menschen oder Naturgewalten, die ihn, seine Familie oder seine größere Gemeinschaft bedrohen oder gefährden oder sogar verletzen und umbringen können, aber Feinde hat er nicht. In der hasserfülltesten Aggression wird er noch den Hass der enttäuschten Liebe und die Sehnsucht nach wahrer Liebe erkennen können, und er wird sich danach verhalten.

Das ist das einzige Rezept für eine neue Zeit.

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127. Aspekte der Weihe  -  23. Mai 2011

In meinen Bausteinen habe ich immer wieder von der Weihe gesprochen. Damit meine ich nicht, dass jemand einen Ritus an mir vollzogen hat, mich geweiht hat. Ich habe mich selbst dem Herzen Jesu geweiht, dem Herzen Marias von Magdala, seiner Gefährtin, dem Herzen Marias von Nazaret, seiner Mutter, dem Herzen Gerhilds, meiner Frau, und dem Herzen aller Wesen. Ich habe mich auch dem Herzen der Erde und dem Herzen des Kosmos geweiht, in denen der transzendente Gott sich zeigt. Meine Weihe wiederhole ich Tag für Tag: Das wird mir zu einer Quelle der Hingabe und der Freude. So kann ich mich unverbrüchlich auf die Lebendigkeiten beziehen, denen ich mich weihe.

Ist es wirklich realistisch, sich dem Herzen einer Gefährtin Jesu zu weihen? Oder betritt man da den Boden der Fantasterei? Die Gefährtin Jesu wird mir immer konkreter und lebendiger. Ich erfahre ihren Namen innerlich als Maria. Ob es Maria von Magdala war? Zu Jesu vollem Menschsein gehört für mich jetzt bereits zweifelsfrei dazu, dass er eine Gefährtin hatte. War es eine spirituelle Gefährtin, wie Franz von Assisi sie in Klara hatte? Oder war es eine Gefährtin, die als seine Frau zu ihm gehörte? Jedenfalls über den Tod hinaus. Und ich halte meine Aufnahmefähigkeit für alle Spielarten offen.

(Siehe: 120. Maria Magdalena und die Frauenfrage, 93. Das Herz des Universums.)

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126. Das Christentum als Ersatzreligion  -  18. Mai 2011

Was hätte nicht alles werden können, mit und durch Jesus, wenn sie ihn nicht in dieser entwürdigenden Art umgebracht hätten, in der Absicht, ihn zu vernichten, seinen Einfluss als Volksverführer oder Aufrührer völlig auszuschalten.

Wer sind sie denn, die Jesus vernichten wollten? Im April 2006 habe ich im Mattenhof in Gümligen bei Bern das Musical "The Passion" gesehen. Das Musical zeigt nur den Prozess vor Pontius Pilatus. Eine jüdische Mitbeteiligung wird nicht erwähnt.

Und Gerd Lüdemann schreibt in einem Artikel, der in der "Welt" veröffentlicht wurde: "Da die Kreuzigung eine römische Strafe war, können wir schlussfolgern: Die Römer haben Jesus den Prozess gemacht und hingerichtet. Der Grund für das Einschreiten gegen ihn stand auf der Kreuzesinschrift. Jesus starb, weil die Römer ihn irrtümlich für den 'König der Juden' hielten. Dieser Titel ist aus römischer Perspektive formuliert und deswegen geschichtlich. Die christliche Kirche muss - belehrt durch die historische Kritik der biblischen Passionsgeschichte - auch die Beschuldigung zurücknehmen, dass die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen hätten. Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt einzig und allein durch die römische Staatsmacht. Ohne diesen Mord hätte es die mächtigste Weltreligion nicht gegeben." (Gerd Lüdemann, "Wer war schuld am Tode Jesu?", Die Welt, 9.4.2009.)

Es liegt andererseits auf der Hand, dass Jesus, der die blutigen Opfer im Tempel abschaffen wollte und die persönliche Verantwortung über das Gesetz des Mose stellte, den jüdischen Obrigkeiten ein Dorn im Auge war. Ob sie an seiner Hinrichtung mitbeteiligt waren, wird sich niemals beweisen oder widerlegen lassen. Daher ist jede Spur von antijüdischem Ressentiment Unrecht. Dass die jüdische Religion und die Menschen, die sich zu ihr bekennen, alle Verfolgungen überlebt haben, spricht eine deutliche Sprache.

Das Christentum ist eine Ersatzreligion, eine Religion der Verzweiflung, die aus der Not eine Tugend gemacht hat, eine Religion der Theologen mit Paulus von Tarsus an der Spitze.

Mt 5,48 lautet: "Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist." In dem Buch von Dietrich Bonhoeffer, das die Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft enthält, fand ich den Hinweis, dass das Wort τέλειος (teleios), das hier mit "vollkommen" übersetzt wird, ursprünglich "ganz" heißt. Es geht darum, in der Nachfolge Jesu ganz zu werden.

Jesus selbst ist der ganze, vollkommene Mensch par excellence, schon in den letzten Jahren seines irdischen Lebens und erst recht nach seiner Auferstehung. Wir können mit Sicherheit annehmen, dass er vollendet ist, unabhängig davon, ob das Felsengrab nun leer war oder nicht. Der auferstandene Jesus hat die ganze Erde oder sogar den ganzen Kosmos als seinen Leib und sein Blut angenommen, mit allem Leid und mit dem Weg in die Vollendung. Er hat uns den Weg gebahnt, um selbst in die Vollendung hineinzuwachsen, die er erreicht hat, in unserem Leben, das mit dem Tod nicht endet.

Vom auferstandenen Jesus genährt, aber unabhängig von allen Bekenntnissen lebt eine eigentliche Religion, die die ganze Menschheit umfasst, Muslime, Christen, Juden und alle anderen. Sie lebt in Gesinnungen und Handlungen von Menschen, oft im Verborgenen. Die Menschheit hat die Verantwortung, alle Facetten dieser Religion zu leben. Nur so wird die Gewalt gegen Menschen und gegen die Natur ihre Kraft verlieren.

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125. Wie sich Gott zeigt  -  18. Mai 2011

Die Bibel gründet auf den hebräischen Buchstaben und ihren Zahlenwerten. Das Zählen beginnt bei der Eins, eine Null gibt es nicht. Gott in sich entspricht jedoch der Null. Wie Gott in sich ist, ist und bleibt transzendent. Es ist für uns nicht fassbar.

Nach der klassischen christlichen Auffassung hat Gott die Welt geschaffen. "Dabei ist die Welt weder göttliche Substanz noch Modifikation einer unendlich existierenden Urmaterie. Vielmehr hat Gott die Welt als nichtgöttliche Wirklichkeit geschaffen und er hat sie aus [dem] Nichts geschaffen." (Aus einer Arbeitshilfe der Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz.)

Der Gott der Bibel zeigt sich als der eine Gott, der uns Vater ist, es wird von ihm aber auch gesagt, dass er uns wie eine Mutter tröstet. Der väterliche Gott mit der mütterlichen Anima? Das kann doch nicht alles sein, was über das Weibliche zu sagen ist.

Es gibt drei Worte, die denselben Wortstamm haben: Mater (lateinisch für Mutter), Materie und Matrix (heißt im Lateinischen Gebärmutter, eigentlich Muttertier).

Vielleicht ist es doch verengend, zu sagen, Gott habe die Welt aus nichts oder aus dem Nichts geschaffen. Vielleicht ist die aufnehmende, gebärende Urmaterie ein göttliches Prinzip wie der zeugende Urgeist. Vielleicht sind es gar nicht zwei Prinzipien, sondern nur zwei Seiten eines einzigen Prinzips. Vielleicht sind Licht und Dunkel göttlich. Vielleicht ist das Licht nur die andere Seite des Dunkels und das Dunkel nur die andere Seite des Lichts.

Unter dieser Annahme löst sich das Böse nicht auf. Es gibt das Böse nach wie vor, aber es kann nicht mehr gesagt werden: "Die Materie ist böse" oder "Das Dunkel ist böse". Die Materie kann nicht mehr als das Gefängnis des Geistes gesehen werden.

Ist das nicht eine wunderbare Wirklichkeit, in der Gott als Nullheit in sich selbst nicht gesehen werden kann, aber als Einheit, die sich uns zuwendet, in höchster Ekstase im Tanz des Weiblichen mit dem Männlichen, der Materie mit dem Geist, des Dunkels mit dem Licht gespürt und gefühlt werden kann?

Der nächste Schritt ist die Zweiheit, und in dieser Zweiheit sind wir Menschen Bilder von diesem tanzenden Gott. Dabei ist Jesus keine Ausnahme. Und wenn er wollte, hatte er eine Gefährtin.

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124. Die Befreiung verkünden  -  18. Mai 2011

Als Jesus am Beginn seines öffentlichen Wirkens in der Synagoge von Nazaret verkündete, er habe von Gott den Auftrag, den Gefangenen die Befreiung zu verkünden, kam es zu einem Eklat und die Leute hätten ihn fast umgebracht. Die Befreiung ist ein zentraler Punkt seiner Verkündigung, der bis zum heutigen Tag Widerspruch hervorruft und dabei immer wichtiger und dringender wird, je mehr die menschliche Geschichte voranschreitet.

Das Christentum ist eine Religion des Buches und vieler Gesetze geworden.

In einer bei Amazon veröffentlichten Rezension des Buches "Jesus von Nazareth: Band II" von Joseph Ratzinger habe ich folgenden Satz gefunden: "Christliche Existenz bedeutet [nach Ratzinger] 'Menschwerdung', Weg aus der Enge, dem Ungenügen des Ich in die Erfahrung der Fülle, Nähe, Grenzenlosigkeit der Freiheit."

Wie kann der derzeitige Bischof von Rom die Freiheit als die zentrale Erfahrung der christlichen Existenz bezeichnen, während er selbst und seine vatikanischen Behörden die Menschenrechte mit Füßen treten?

Und wie ist es in der Politik? In den letzten Monaten machen die Ereignisse in den arabischen Staaten immer wieder Schlagzeilen. Als Beispiele nenne ich zwei Überschriften von Artikeln, die in der letzten Zeit in der Wiener Zeitung erschienen sind: "Syriens Armee jagt die Gegner des Regimes" und "Gewalt in Syrien nimmt kein Ende".

Die heutige Wiener Zeitung bringt einen Artikel mit dem Titel "Welt ist nicht menschenrechtskonform". Der Artikel beginnt mit den Worten: "50 Jahre nach der Gründung von Amnesty International (ai) hat die Menschenrechtsorganisation zumindest eine Gewissheit: Es gibt heute 'keinen Staat auf der Welt, der seinen Bürgern alle Menschenrechte zukommen lässt', erklärt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich."

Und wie ist das eigentlich mit Freiheit in der Wirtschaft? Im Sinn von Jesus kann Freiheit niemals schrankenlose Liberalisierung bedeuten. Die Befreiung der Armen, Unterprivilegierten, Entrechteten ist vorrangig.

Ohne eine solche Befreiung, in politischer, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht, wird kein Frieden in der Welt möglich sein.

Und so ist es auch heute und in Zukunft unsere Aufgabe, die Befreiung, wie Jesus sie gemeint hat, zu verkünden und zu leben.

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123. Eucharistiefeier ohne Leitung durch Amtsträger  -  2. Mai 2011

Am gestrigen Weißen Sonntag haben Gerhild, meine Frau, und ich wieder einmal bei uns zuhause eine Eucharistiefeier ohne Leitung durch Amtsträger gemacht. Dabei haben wir die von mir modifizierten Bibeltexte und Gebetstexte verwendet. Das anschließende Abendessen war von der Innigkeit der Feier getragen. Je öfter wir eine solche Feier machen, umso mehr wächst unsere innere Selbstverständlichkeit und Autorität dabei. Ich frage mich: Wann werden wir es wagen, andere Leute dazu einzuladen? Oder andersherum: Wann werden es andere Leute wagen, dabei zu sein?

Was dafür spricht:

Apg 2,46; Einheitsübersetzung: "Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens." Das ist Eucharistiefeier und anschließende Agape in Hausgemeinschaften.

Lk 24,30-31, Einheitsübersetzung des Erlebnisses beim Gang nach Emmaus: "Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn." Nicht irgendein Amtsträger reicht uns das Brot und den Wein, sondern der auferstandene Jesus selbst.

Es gibt das allgemeine Priestertum aller, die Jesus nachfolgen. "Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5,1-5), hat das neue Volk 'zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht' (vgl. Offb 1,6; 5,9-10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht ... (vgl. 1 Petr 2,4-10)." (Lumen Gentium 10.)

Was dagegen spricht:

In allen christlichen Kirchen ist Weihe oder Ordination oder Beauftragung Voraussetzung für die Leitung der Eucharistiefeier. Selbst in Freikirchen gibt es eine Beauftragung, die mit einer Segenshandlung verbunden ist.

Die jahrhundertelange Einschüchterung der Menschen, denen stets vorgegaukelt wurde, zwischen ihnen und dem auferstandenen Jesus sei eine beamtete Mittelsperson vonnöten.

Ich bleibe beim Dafür:

Jesus selbst war kein Priester. Er hatte keine reguläre biblische Ausbildung abgeschlossen. Er war von niemand ordiniert. Er war von niemand beauftragt außer von Gott, dem Vater. Er hat den Menschen eine bis heute nicht voll verstandene neue Freiheit gebracht, und zwar in gleicher Weise den Männern und den Frauen. Wer diese Freiheit in der Nachfolge Jesu spürt, versteht und in Anspruch nimmt, wächst immer mehr hinein. Angst und die Folgen der Einschüchterung durch viele Generationen fallen weg. Selbstständigkeit und das Vertrauen auf die Führung durch den Geist Gottes entfalten sich. Vollständiges und freies religiöses Leben ohne äußere Bevormundung erstarkt. Um so zu leben, ist es nicht nötig, aus irgendeiner Kirche auszutreten, irgendeiner Gemeinschaft den Rücken zu kehren. Aber man ist nicht mehr auf eine bestimmte Kirche oder Gemeinschaft angewiesen oder eingeschränkt.

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122. Die Stimme des Herzens  -  22. April 2011

Am gestrigen Gründonnerstag waren Gerhild, meine Frau, und ich bei der evangelischen "Feier der Einsetzung des heiligen Abendmahls in neuer Form" in Purkersdorf. Es waren achtzehn Personen da, davon vier Männer (inklusive Pfarrer und Organist) und vierzehn Frauen. Wir saßen alle um einen langen, weiß gedeckten Tisch herum, auf dem drei Kerzen und Blumengestecke standen sowie ein Teller mit einem Fladenbrot, ein Tonkrug mit Wein und ein Becher.

Beim Abendmahl wurden Brot und Wein im Kreis herumgereicht. Jede Person reichte die Gaben der nächsten. Der Pfarrer kam als letzter dran. Eine Frau reichte die Gaben weiter, ohne selbst etwas zu nehmen. Wie sich später herausstellte, war sie eine geschiedene Wiederverheiratete, die der römisch-katholischen Kirche angehört. Selbst hier, in der evangelischen Kirche, wo die hartherzige Regel des römisch-katholischen Lehramts, die den geschiedenen Wiederverheirateten die Teilnahme an der Kommunion verbietet, nicht gilt, fühlte sie sich befangen und war nicht imstande, sich in den Gaben von Brot und Wein mit Leib und Blut des auferstandenen Jesus zu verbinden.

Das geschah nach der gemeinsamen Beichte und Lossprechung, die der Pfarrer vorgenommen hatte, und es geht mir sehr nahe. Die innere Stimme, die von Gott kommt, hätte der Frau gesagt, dass sie frei ist und neu anfangen kann und am Abendmahl teilnehmen kann. Doch das von außen, von einer unbarmherzigen Kirchenbehörde aufoktroyierte Gewissen machte der Frau die Teilnahme unmöglich.

Es geht nicht um die Autorität des Buchstabens, sondern um die Autorität des Herzens. Es geht nicht um das starre Gesetz, sondern um die befreiende Liebe. Es geht um das Herz als das Innerste des Menschen, das mit Gott verbunden ist. Es geht darum, von Herz zu Herz mit Jesus verbunden zu sein, mit seinem Geschenk der Freiheit, die von jedem Hass befreit, allen Menschen zu begegnen und darüber hinaus allen Geschöpfen, damit sie aufatmen können und sich sagen: "Endlich. So soll es sein."

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121. Karfreitag und Judenhass  -  16. April 2011

Am Karfreitag wird in allen römisch-katholischen Kirchen das Leiden Jesu nach Johannes verlesen, mit verteilten Rollen. Da kann man dann hören:

"Judas, der Verräter, der ihn auslieferte"
Ich zweifle nicht daran, dass Judas die römischen Soldaten und die Tempelwächter auf den Ölberg geführt hat, aber ich zweifle daran, dass der Hohe Rat darauf angewiesen war. Seit Jesus nach Jerusalem gekommen war, hatte er täglich am Ölberg übernachtet. (Siehe Lk 21,37.) Sie hatten jederzeit die Möglichkeit, einen Spitzel nachzuschicken und das auszukundschaften.
Und soll denn Judas in alle Ewigkeit als "der Verräter" bezeichnet werden?

"die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest."
"Kajaphas aber war es, der den Juden den Rat gegeben hatte"
"Die Juden antworteten ihm: Uns ist es nicht gestattet, jemand hinzurichten."
"würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde."
"ging er wieder zu den Juden hinaus und sagte zu ihnen: Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen."
"Die Juden entgegneten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben"
"die Juden schrien: Wenn du ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers"
"Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu, aber aus Furcht vor den Juden nur heimlich."
Durch die pauschale Verteufelung der Juden wird im Bericht über das Leiden Jesu und auch sonst im Johannesevangelium der Judenhass geschürt. Die Folgen in der Menschheitsgeschichte sind bekannt.

Für jeden, der diese Schande nicht weiter fortsetzen will und den Text ändert, bevor er ihn vorlesen lässt, bin ich dankbar. Wer das unverändert lesen lässt oder liest: Muss der nicht sein Herz und Hirn vorher ausschalten?

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120. Maria Magdalena und die Frauenfrage  -  7. April 2011

In dem Baustein 119. Jesus und Maria aus Magdala habe ich eine Spur aufgenommen. Diese Spur habe ich seither weiter verfolgt.

Mit totaler Verbindlichkeit und täglicher Vergegenwärtigung bin ich dem Herzen Jesu geweiht, dem Herzen seiner Mutter Maria und dem Herzen Gerhilds, meiner Frau. (Siehe: 72. Anders beten.)

Ich habe nun begonnen, mich auch täglich dem Herzen von Maria Magdalena zu weihen. Ich bete: „Maria Magdalena, deinem Herzen bin ich geweiht, jetzt und alle Tage meines Lebens und über den Tod hinaus."

Dabei wird mir klar, dass Maria aus Magdala das Leid aller Frauen mitträgt, die durch die Jahrhunderte verfolgt und bis heute nicht voll angenommen werden, in der Kirche und überhaupt in patriarchalischen Gesellschaften. Das Wesen dieser Maria und ihre außergewöhnliche, kongeniale Verbundenheit mit Jesus zu verstehen könnte sogar der Schlüssel zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft sein. Da es zumindest bisher keine historischen Beweise gibt, können wir nur beten und auf unser Inneres hören, wenn wir dieser Spur weiter nachgehen wollen.

Feedback von Martha Heizer:

Sie tun mir gut, deine Gedanken.

Maria von Magdala habe ich besonders durch Elisabeth Moltmann kennen und lieben gelernt, in dem Buch „Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus“, das mir eine Freundin zum 30. Geburtstag geschenkt hat (ein halbes Leben her!). Dort beschreibt sie auch Martha von Bethanien, und seit ich das gelesen habe, kann ich mit meinem Namen wieder was anfangen …

Wir waren dann in dieser Grotte in Südfrankreich, wo Maria Magdalena der Überlieferung nach ihren Lebensabend verbracht hat. Und in der Kirche in Tarascon, wo Martha von Bethanien sehr friedlich und ohne Schwert einen Drachen gebändigt hat. Dort ist vor der Kirche beim Aussteigen unserer kleinen Tochter die Autotür auf die Finger gefallen – aber wie sie die Hand auf den Sarkophag Marthas gelegt hat, war der Schmerz auf der Stelle weg.

Anmerkung:

Und das tut wiederum mir gut. Ein eigener Mensch werden - das gehört zu meinen Grundintentionen und zu dem, was ich allen Menschen wünsche. Das Buch von Elisabeth Moltmann ist noch gebraucht erhältlich und ich habe es bestellt.

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119. Jesus und Maria aus Magdala  -  28. März 2011

Im August 2010 habe ich im Baustein 95. Thesen für ein neues religiöses Verständnis sechs Thesen formuliert. Die erste besagt, dass es nicht ums Christentum, sondern um die Nachfolge Jesu geht und dass Jesus für alle da ist, über Konfessionsgrenzen, aber auch über Religionsgrenzen hinaus. Mit dem, was sich als Christentum etabliert hat, kann ich immer weniger anfangen.

Die Bibel ist in dem Ausmaß heilige Schrift, in dem sie es geschafft hat, die authentische Glaubenserfahrung von Menschen einzufangen, von Propheten des Ersten Bundesbuchs und ganz besonders von Jesus. Sie kann aber nicht pauschal als Offenbarung verstanden werden. Sie ist in dem Ausmaß lebendig, in dem heute lebende Menschen sie lebendig machen. Und sie ist änderbar. Wer unter allen Umständen bibeltreu oder bibelkonform sein will, läuft Gefahr, das zu vernachlässigen, was der Geist Gottes in seinem Inneren spricht.

Das zentrale Vermächtnis Jesu an uns sind die Worte "Das ist mein Leib" und "Das ist mein Blut". Als er diese Worte sprach, nahm er ein Fladenbrot bzw. einen Becher mit gewässertem Wein, wie es damals Sitte war. Der auferstandene Jesus hat jedoch die ganze Erde oder sogar den ganzen Kosmos als seinen Leib und sein Blut angenommen, mit allem Leid und mit dem Weg in die Vollendung. Es ist gut, das in Gottesdiensten zu vergegenwärtigen. Doch es darf dabei keine Verengung auf die Gaben von Brot und Wein geschehen. Und es darf nicht die Illusion auftauchen, auf das Wort eines Priesters hin könnten sich Brot und Wein in Jesu Leib und Blut verwandeln. In einem tieferen Sinn sind sie es jederzeit. Sie brauchen nicht verwandelt zu werden. Wenn die Menschen die Heiligkeit von allem und jedem verstünden, würden viele Verbrechen an einzelnen Menschen, an Minderheiten und an der Natur nicht geschehen.

Dass alles heilig und alles in der Hand Gottes ist, ist ein Grundwissen der Menschheit. Jesus hat dieses Grundwissen in beispielloser Art und Weise gehabt und gelebt, sodass er mit Gott ununterscheidbar eins geworden ist und sodass wir sagen können, seine ununterscheidbare Einheit mit Gott habe schon vor seiner Geburt auf der Erde bestanden.

Was sich als Christentum entwickelt hat, ist weitgehend eine Verzerrung dieses Grundwissens. Die Verzerrungen beginnen in der Bibel und setzen sich fort auf den sieben ökumenischen Konzilien im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Dazu kommt noch, dass die Kirche durch die Jahrhunderte verarmt ist, weil sie Menschen verfolgt und sogenannte Irrlehren ausgeschieden hat. Das markanteste Beispiel der Antike ist Origenes, von dessen Erkenntnissen nur eine zensurierte, verfälschte Fassung übrig bleiben durfte, alles andere wurde verdammt.

Der Geist Gottes ist nicht ein Geschenk für die Verfasser der Bibel oder für die an Konzilien teilnehmenden Bischöfe, sondern er ist eine Kraft, die allen Menschen zur Verfügung steht, unabhängig von einer Religionszugehörigkeit. Dass auf den Geist Gottes im Inneren der Menschen gehört wird, das wird in der heutigen Zeit immer mehr zur kollektiven Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit kann nicht verordnet und nicht eingegrenzt werden.

Wieso ist alles so gelaufen? Jesus hat bis zu seinem Tod keinen kongenialen männlichen Partner gehabt. Es gibt Vermutungen, dass Maria aus Magdala eine kongeniale Partnerin gewesen sei, aber es gibt keine schriftlichen Beweise dafür. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es so gewesen ist, aber nicht aufgrund apokrypher Schriften wie das Evangelium der Maria, sondern aufgrund dessen, wie die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor Maria aus Magdala im Johannesevangelium beschrieben ist. Maria wendet sich zu ihm und sagt "Rabbuni!", was man mit "verehrter Meister" oder "geliebter Meister" wiedergeben kann. Ich spüre dabei, dass die Formulierung "geliebter Meister" die richtige ist und dass eine tiefe innere Verbindung zwischen Maria und Jesus besteht.

Wie dem auch sei - in der streng patriarchalischen Gesellschaft der damaligen Zeit hatte die freie, auf gleicher Ebene bestehende Verbindung zwischen den beiden keine Chance, überliefert zu werden. Abgesehen von Maria trafen die Erscheinungen des Auferstandenen Unvorbereitete. Wie sie alles verstanden und was sie dann taten, war weitgehend inadäquat. Die Apostelgeschichte hat es uns eindringlich überliefert. Sie setzten den Anfang dafür, dass das Christentum eine Religion des Buches und des Streits um Formulierungen geblieben ist.

Wenn die christlichen Kirchen in dieser Form überleben, so überleben sie zwar nicht als lebendige Leichen, jedoch als schwer Ramponierte, denen die Weitergabe des Geistes Jesu kaum noch möglich ist, weder in ihrer Theologie noch in ihrer Liturgie. Das gilt ganz besonders für die römisch-katholische Kirche, von der Eugen Drewermann schreibt, dass sie "ihren gewaltigen Beamtenapparat zur Garantie der Wahrheit und zur rechten Applizierung der Heilsgeheimnisse Gottes an die Menschen bis auf einen Rest pragmatisch begründbarer Funktionen mit auswechselbaren Funktionsträgern zusammenschleifen" muss. (Aus: Eugen Drewermann, "Worum es eigentlich geht - Protokoll einer Verurteilung", S.22.)

Was tun wir in dieser Situation? Können wir bei Jesus selbst anknüpfen, in einer Beziehung von Herz zu Herz? Können wir auch bei seiner Verbindung mit der Magdalenerin anknüpfen, von der wir so gut wie gar nichts wissen, deren innere Realität aber durch die Jahrhunderte weiterlebt? Als Antwort auf diese Frage gibt es für mich nur ein großes Ja.

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118. Pontifex maximus?  -  15. März 2011

In diesem Baustein geht es um den Bischof von Rom und dich und mich. Gibt es da Unterschiede?

Um den Bischof von Rom herum wurde in autokratischer und absolutistischer Manier eine Fülle von Bezeichnungen und Titel gehortet. Haben diese Bezeichnungen und Titel etwas mit Jesus zu tun? Ich greife einige Beispiele heraus.

Die Bezeichnung "Papst" (kirchenlateinisch papa = Vater) nicht - wir sind alle Schwestern und Brüder.
Die Bezeichnung "heiliger Vater" nicht - heiliger Vater ist Gott allein.
Der Titel "Stellvertreter Jesu Christi" nicht - wir sind alle eingeladen, Jesus nachzufolgen, aber niemand kann sein Stellvertreter sein.
Die Bezeichnung "Pontifex maximus" (oberster Brückenbauer) nicht - ein Titel, der aus dem römischen Götterkult und Kaiserkult kommt - wir sind alle eingeladen, Brückenbauer im Sinne der Bergpredigt zu sein.

Was Christian Blankenstein in seinem Buch "Christsein - aber wo?" als Treppenwitz bezeichnet: Ausgerechnet den Titel "Patriarch des Abendlandes" = "Patriarch der Westkirche" hat Benedikt XVI. abgelegt, einen Titel, der niemandem wehtut, der aber doch geeignet war, ihm etwas von den universalen Ansprüchen seines Amtes wegzunehmen.

In einer erneuerten Kirche Jesu Christi könnte der Bischof von Rom ein Patriarch wie andere sein - nicht im Sinne eines primus inter pares, denn das Amt, der erste Patriarch zu sein, könnte genauso rotieren wie das Amt des Bundespräsidenten unter den Ministern und Ministerinnen in der Schweizer Regierung.

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117. Liebeserklärung an die eigene Frau  -  10. März 2011

Im Jahr 1968, am Tag ihres 25. Geburtstages, schrieb ich folgendes Gedicht für Gerhild:

          Die Liebe hat keine Worte

          Du bist die Lampe aus Zinn
          ich das Öl
          gepresst aus grünen Oliven

          Lass mich ein
          gemeinsam
          können wir leuchten

In diesen Tagen, 43 Jahre später, bin ich dabei, ein Kinderbuch zu schreiben. Immer wenn ich einen Abschnitt fertig habe, folgt ein zweiter Arbeitsgang: Gerhild und ich bearbeiten den Abschnitt gemeinsam. Als wir heute bei den Öllampen waren, die vor 2.000 Jahren verwendet worden sind, ist mir schlagartig dieses Gedicht eingefallen. Und ich dachte mir: Jetzt ist unsere Gemeinschaft wirklich das geworden, was ich damals spontan hingeschrieben habe. Sie ist das geworden in der ganzen Breite der möglichen Bedeutungen des Gedichts.

Zufall?

Prophetie?

Dankbarkeit!

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116. Von guten Mächten?  -  7. März 2011

Gestern Abend habe ich in dem Buch "Letzte Briefe im Widerstand - Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer" gelesen. Unter anderem bin ich auf den Text des Gedichts "Von guten Mächten" gestoßen, das Dietrich Bonhoeffer am 30.12.1944 im Kellergefängnis der Gestapo in der Prinz Albrecht-Straße zum Geburtstag seiner Mutter und für seine Braut geschrieben hat.

Aus diesem Gebet ist ein Kirchenlied geworden. Ich habe dieses Lied nie leiden können. Auf mich wirkte die Vertonung so glatt und der Text so unverständlich und unbestimmt.

Als ich gestern in dem Taschenbuch las, ist die Situation, in der sich die Menschen aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer befanden, voll in mich hineingefahren und ebenso die Situation aller in den letzten Kriegsmonaten. In seinem letzten Brief vom 17.1.1945 schrieb Dietrich Bonhoeffer: "Wenn man bedenkt, wie viele Menschen jetzt täglich alles verlieren, hat man eigentlich gar keinen Anspruch mehr auf irgendwelchen Besitz."

Nun verstehe ich, dass das Gedicht "Von guten Mächten" mit erschreckender Genauigkeit dieses Grauen widergibt und die überwältigende Antwort darauf aus dem tiefen, endgültigen Vertrauen. Meine Tränen waren da und ich konnte kaum noch sprechen. Werde ich dieses Kirchenlied je wieder mitsingen können?

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115. Das Welthalleluja  -  6. März 2011

Ich komme gerade vom Gottesdienst in unserer evangelischen Gemeinde, bei dem die Konfirmandinnen und Konfirmanden vorgestellt worden sind. Wir haben das Halleluja von Leonard Cohen gesungen. Von diesem Lied gibt es verschiedene Fassungen. Das Lied ist auch das posthum bekannteste Stück von Jeff Buckley.

Von den Strophen, die wir gesungen haben, ging mir folgende unter die Haut:

Your faith was strong but you needed proof
you saw her bathing on the roof
her beauty and the moonlight overthrew you
she tied you to her kitchen chair
she broke your throne and she cut your hair
and from your lips she drew the hallelujah

Hallelujah, hallelujah, hallelujah, hallelujah

Ich übersetze das:

Dein Glaube war fest, doch du brauchtest die Bestätigung
du sahst sie baden auf dem Dach
ihre Schönheit und das Mondlicht überwältigten dich
sie band dich an ihren Küchenstuhl
sie zerbrach deinen Thron und sie schnitt dein Haar
und von deinen Lippen sog sie das Halleluja

Halleluja, halleluja, halleluja, halleluja

Die Strophe bezieht sich auf König David, wie er Batseba, die Frau seines Kriegers Urija, den er später in den Tod schickt, auf dem Dach baden sieht. Der Liedtext strahlt höchste Sinnlichkeit aus, das Verbrechen an Urija wird nicht erwähnt. Das Lied sagt über König David etwas anderes aus: Sein ganzes Sein, sein ganzes Tun singt Halleluja.

Der Originaltext von Leonard Cohen spricht von einem heiligen und einem zerbrochenen Halleluja. Ob nun das eine oder das andere vorliegt, das spielt nach dem Autor keine Rolle. Worauf es ankommt, ist das Halleluja.

In diesem Lied klingt an, dass König David das Halleluja durchhält, durch alle Taten und Untaten seines Lebens.

Alles, was existiert, singt Halleluja. Der ganze Kosmos singt Halleluja. Dieses Halleluja tönt in mir wieder. Ich singe Halleluja mit allem, was ich bin, mit allem, was ich tue. Ich bin ein Teil des Kosmos.

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114. Lass Religion neu erstehen  -  4. März 2011

Vor kurzem habe ich die Website der Giordano Bruno Stiftung entdeckt. In der Broschüre "Aufklärung im 21. Jahrhundert" sagt sie über sich selbst: „Ziel der Stiftung ist es, eine tragfähige säkulare Alternative zu den bestehenden Religionen zu entwickeln und ihr gesellschaftlich zum Durchbruch zu verhelfen.“

Wie sieht die Stiftung Gott und die Religionen?

Gott ist nach der Broschüre eine vom Menschen geschaffene und zum Gott erhobene Vatergestalt. Wenn also der Begriff "Gott" überhaupt verwendet wird, so muss er so definiert werden, dass er nicht im Widerspruch zu den Naturgesetzen steht (dies verlangt u.a. einen Verzicht auf Wunder- und Schöpfungsglauben).

„Die Stiftung ist religionskritisch, nicht religionsfeindlich. Wir verstehen die Religionen als kulturelle Schatzkammern der Menschheit, die zweifellos neben überholten Welt- und Moralvorstellungen auch sinnvolle Elemente enthalten, die heute noch Beachtung finden sollten. Allerdings: Um die wertvollen Bestandteile der Religionen von den zeitbedingten Irrtümern und den mit ihnen einhergehenden, oftmals grausamen moralischen Normen trennen zu können, ist eine kritisch-rationale, säkulare Haltung zur Religion erforderlich. Schließlich sind die Religionen ebenso Menschenwerk wie alle anderen Produkte und Institutionen, die unsere Spezies im Verlauf ihrer kulturellen Evolution hervorgebracht hat. Deshalb sollten religiöse Schriften mit dem gleichen kritischen Blick gelesen werden wie etwa die Werke antiker Philosophen.“

Jesu Erlösungstat ist nach der Broschüre ohne Voraussetzung von Hölle und Teufel, also ohne ein wirksames metaphysisches Bedrohungsszenario, sinnlos.

Die Broschüre blickt auch in die Geschichte: „Die Idee der Menschenrechte wurde maßgeblich von dem Religionskritiker Thomas Paine forciert, während eine ganze Reihe von Päpsten dies als ‚unerträgliche Anmaßung’ verdammte. Erst 1961 konnte sich Papst Johannes XXIII. zu einer gewundenen Anerkennung der Menschenrechte durchringen, jedoch hat der Vatikan als einziger Staat in Europa die ‚Europäische Menschenrechtskonvention’ bis heute nicht ratifiziert.“

Die Giordano Bruno Stiftung vertritt viele legitime Anliegen. Und doch kommt mir die Frage in den Sinn, ob nicht das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird. In der Broschüre kommt das Wort "Transzendenz" nicht vor. Dieses Wort ist für mich nicht einfach ein philosophisch zu definierender Begriff, sondern etwas Lebendiges. Für mich sagt dieses Wort aus, dass aus einer Urexistenz, die für alle auf der Erde und nicht mehr auf der Erde Lebenden transzendent und daher unerkennbar ist, allen Wesen immer neue Horizonte geboten werden. Zu diesem Lebendigen kann man eine Beziehung haben. Man kann über dieses Lebendige nichts aussagen, mit einer Ausnahme: Ich gehe davon aus, dieses Lebendige sei die Liebe, nicht aber die personifizierte Liebe, denn es ist nicht möglich, zu sagen, es sei eine Person, und noch viel weniger, es sei drei Personen. Warum soll man es nicht "Gott" nennen?

Paulus sagt im 1. Korintherbrief: "Jetzt sehen wir in einem Spiegel nur undeutliche Bilder, dann (= dereinst) aber von Angesicht zu Angesicht." (1 Kor 13,12.)

Diesen Satz halte ich für einen Irrtum. Wir werden Gott auch nach dem Tod nicht von Angesicht zu Angesicht erkennen. Ein solches Erkennen hätte für mich etwas Statisches. Leben ist und bleibt dynamisch, auch nach dem Tod, auch nachdem die Verstorbenen nicht mehr in den Kategorien von Raum und Zeit leben. Es ist durchaus möglich, nach dem Tod eine überwältigende Gotteserfahrung zu machen. Aber auch diese Erfahrung ist nur ein Horizont.

Dass der Mensch Gott als Vatergestalt selbst geschaffen hat, ist ein Aspekt. Ich bringe einen anderen Aspekt ins Spiel. Die Vatergestalt ist einer der Horizonte, die uns von der Transzendenz her geschenkt werden.Gott zeigt sich uns als Vater, er ist für uns Vater. Gott zeigt sich uns auch als Mutter, er ist für uns Mutter. Heutzutage wird viel von der Mutter Erde gesprochen. Das ist ein Horizont, der von vielen indigenen Kulturen erfasst worden ist. Ich sehe in der Erde überall die Kraft des präexistenten und auferstandenen Jesus. Das kommt daher, dass ich mit dem lebendigen Jesus von Herz zu Herz verbunden bin.

Für mich liegt auf der Hand, dass Gott nicht der Schöpfer des Himmels und der Erde ist. Der Himmel gemäß dem antiken Weltbild ist eine mythologische Vorstellung. Und Gott ist kein Handwerkergott, kein Uhrmachergott, kein Bildhauergott. Und doch kommt aus der Transzendenz ein ungeheures Geschehen, das alles in die Existenz, ins Leben ruft. Dieses Geschehen hat ein Agens, das in die Verwirklichung führt. Dieses Agens ist für mich innig und ununterscheidbar mit dem präexistenten und auferstandenen Jesus verbunden.

Religiöse Schriften lese auch ich mit kritischem Blick. In der Bibel ist vieles enthalten, das zu Unheil geführt hat. Was ist zugleich im Ursprung und heute lebendig und heilsam? Das ist für mich immer die Frage. Mit meinen Bibelbearbeitungen möchte ich neues Leben ermöglichen, zukunftweisendes Leben im 21. Jahrhundert. Die Bibel ist für mich zugleich zu bearbeitender Text und heilige Schrift. Ich habe nicht davor zurückgescheut, in meinen Bearbeitungen den Originaltexten direkt zu widersprechen, dort, wo es mir unumgänglich erschienen ist.

Was Hölle und Teufel betrifft, so fühle ich mich in der Nähe von Origenes. Das Böse in der Welt ist nicht abzuleugnen. Aber es wird in eine Apokatastasis oder eine Allversöhnung mit einbezogen. Das ist für mich nichts, wozu Seelenwanderung oder Wiedergeburt notwendig ist. Und es ist nichts, was erst am Ende der Zeiten erfolgt, denn ein Ende der Zeiten ist eine mythologische Vorstellung. Es beinhaltet die klare Aussage, dass eine ewige Verdammnis ein Unding ist und alle damit verbundenen Drohungen nicht sachlich sind, sondern aus der Verzweiflung und dem Hass von Menschen geboren.

Jesus ist in einem ganz anderen Sinn der Erlöser, als die konventionelle Theologie meint. Es gibt keinen perversen Gottvater, der seinen Sohn als Opferlamm für die Menschheit hingegeben hat. Und Jesu Tod am Kreuz ist kein Opfer, das alle, die dieses Opfer bewusst akzeptieren, in einem vordergründigen Sinn erlöst hat. Sein Tod am Kreuz ist die letzte Konsequenz seiner schrankenlosen Liebe, die sich auf alle Menschen bezieht, auch auf die, die ihn ablehnen. Er ist nicht auf die Welt gekommen, um am Kreuz zu sterben, sondern er ist gekommen, um die schrankenlose Liebe in einer unüberbietbaren Art und Weise zu leben. Als es daraufhin eine gesellschaftliche Strömung in Israel gab, die ihn beseitigen wollte, ist er auch der grausamsten aller Todesarten nicht ausgewichen. Ebenso ist Sokrates 400 Jahre vor Jesus dem ungerechten Todesurteil nicht ausgewichen, das von Richtern verhängt wurde, die die ungewöhnliche Freiheit, die er den Menschen brachte, nicht vertrugen. Jesus hat eine ganz ungewöhnliche Freiheit verkörpert und anderen als Beispiel hingestellt. Es wird Zeit, dass wir diese Freiheit verwirklichen, auch gegen Kirchengesetze und kirchliche Dogmen bzw. gegen die Äquivalente dazu in Religionen, die von sich behaupten, dass sie keine Dogmen kennen.

Die Auffassung von Jesus als dem Erlöser lebt nicht davon, dass es eine Hölle oder gar einen personifizierten Teufel gibt, sondern davon, dass wir zur Miterlöserschaft aufgerufen sind. Das hat nichts mit Mitgliedschaft in einer bestimmten Konfession zu tun und es ist unabhängig davon, ob jemand Jesus als den Erlöser anerkennt oder nicht. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es genug Miterlöser oder Stellvertreter gibt, sodass niemand verloren geht.

Die Giordano Bruno Stiftung betont, dass wir heute ein zeitgemäßes Weltbild benötigen, das im Einklang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen (u.a. der Evolutionsbiologie und der Hirnforschung) steht. So gesehen könnte man sagen, dass alles, was ich hier dargelegt habe, einer Tätigkeit meines Gehirns entstammt. In vielen Fällen von Nahtoderfahrungen wurde jedoch dokumentiert, dass es außersinnliche Wahrnehmungen auch ohne ein funktionierendes Gehirn gibt (Null-Linie im EEG).

Was ich hier formuliert habe, ist dogmenfrei und geht über die Anschauungen der bisherigen christlichen Konfessionen hinaus. Wir brauchen nun aber keinesfalls eine neue, zusätzliche Konfession oder Religion. Wir brauchen eine Emanzipation von religiösen Führern. Wir brauchen das Erwachen der Liebe Gottes in vielen Menschen und das Bewusstsein ihrer Gemeinschaft unabhängig von jeder Weltanschauung und unabhängig davon, ob das Wort "Gott" für sie eine Bedeutung hat oder nicht. Dieses Erwachen wird der Zeitenwende adäquat sein, die im 21. Jahrhundert ansteht und für die es genügend Anzeichen in den täglichen Nachrichten gibt. Ein solches Erwachen kann Katastrophenszenarios - sei es durch Bürgerkriege und Flüchtlingsströme, sei es durch Naturkatastrophen - mildern und vieles davon vielleicht sogar verhindern.

Lass Religion als menschliches Urphänomen neu und für unsere Zeit adäquat erstehen.

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113. Eisen und Eis  -  2. März 2011

Von heute Nacht ist mir ein Traumsymbol ganz stark in Erinnerung. Ich sah einen wunderbaren Schmuckstein, der bestand aus zwei Schichten. Die rechte Seite war aus weißglühendem Eisen. Die linke Seite war aus durchsichtigem Eis. Das Eis kühlte das Eisen nicht ab. Das Eisen brachte das Eis nicht zum Schmelzen. Dabei waren sie ganz innig miteinander verbunden. Zusammen bildeten sie diesen sanft und rund geschliffenen Stein, den ich sah und den ich noch immer spüre. Weil dieser Stein in meinem Inneren da ist, ist es meine Aufgabe, das, was der Stein ist, in meinem Leben zu verwirklichen.

Für mich ist das der Weltstein, das Symbol für die Welt als Ganzes.

Für mich ist das die Coincidentia oppositorum, das Zusammenfallen der Gegensätze, wie es Nikolaus von Kues im Innersten der Welt sah.

Für mich ist das der Stein der Weisen, der aus der scheinbar ausweglosen Zerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen herausführt.

Für Gerhild, meine Frau, ist das das unauflösbare Miteinander der beharrenden und der verändernden Kräfte, z.B. in der römisch-katholischen Kirche.

Es ist die Lösung des Welträtsels. Wenn uns das gelingt, was dieser Stein zeigt, sind die Erde und die Menschheit um einen Schritt weiter.

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112. Eine neue Sicht auf die Eucharistie  -  27. Februar 2011

Ich habe die Eucharistie oder das Abendmahl schon in zwei Bausteinen behandelt:
13. Abendmahl und Eucharistie und 96. Eucharistie und eucharistische Anbetung.

Ich nehme nichts zurück, was ich dort geschrieben habe. Und doch ist mir ein neuer Blickwinkel gekommen. Ich betone jetzt mehr den kosmischen Jesus, der die Hervorbringung von allem auslöst und die Vollendung von allem vorantreibt. Er ist immer da, jetzt und hier. Er wird in und mit allem gequält, was gequält wird. Er wird in und mit allem befreit, was befreit wird. Und er ist selbst das befreiende Element.

Der kosmische Jesus kann nicht auf die Anwesenheit in Brot und Wein reduziert werden. Und man kann ihn nicht durch Worte oder Gesten in diese Gaben hineinbefehlen, denn er zeigt sich uns in ihnen und in allem, was uns sonst begegnet und in uns selbst. Wir sind eigentlich so innig mit ihm verbunden, wie wir uns das gar nicht vorstellen können, und daher wagen wir nur zu sagen: Auf diese innige Verbundenheit gehen wir zu.

Im zweiten Hochgebet der römisch-katholischen Kirche ist ein zentraler Teil die Epiklese, die Herabrufung des heiligen Geistes auf die Gaben Brot und Wein. Sie geschieht mit folgenden Worten: "Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus."

Diesen Satz habe ich in meinem Hochgebet durch folgenden ersetzt: "Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit Leib und Blut des auferstandenen Jesus in ihnen wohnen und uns immer mehr mit ihm und untereinander verbinden."

Im Hinblick auf den kosmischen Jesus genügt mir diese Formulierung nun nicht mehr. Ich habe sie daher wie folgt geändert: "Sende deinen Geist auf uns herab und reinige, heile und heilige uns, damit wir Leib und Blut des auferstandenen Jesus in diesen Gaben erkennen und uns immer mehr mit ihm und untereinander verbinden."

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111. Der Schrei nach Gerechtigkeit und Mitbestimmung  -  26. Februar 2011

Was ist auf einmal los in den arabischen Ländern?

"In zahlreichen arabischen Ländern und mittlerweile auch wieder im Iran gehen Menschen auf die Straßen, um gegen autoritäre Regime zu protestieren oder die Protestbewegungen der Nachbarländer zu unterstützen." (Aus: derStandard.at vom 24. Februar 2011.)

"Es herrscht die Perzeption vor, die Aufrechterhaltung der Ordnung diene nicht in erster Linie dem Wohle der Bevölkerungen, sondern der Bereicherung einer korrupten Elite." (Aus: www.swp-berlin.org/de.)

"Es geht ihnen weniger um die westliche Freiheit in unserem Sinne als um ein Leben in Würde. Sprich Brot und Arbeit und den Aufbau eines Sozialsystems. Die Abschaffung der Unterdrückung durch Polizei und Staat." (Aus: forum.gofeminin.de.)

"Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ist seit einem Putsch 1969 unumschränkter Alleinherrscher. Parteien sind verboten, Medien werden strikt kontrolliert. Kritik am politischen System ist Libyern nur im Ausland ohne Lebensgefahr möglich. Trotzdem protestieren seit 17. Februar Tausende. al-Gaddafi antwortete mit roher Gewalt." (Aus: derStandard.at vom 24. Februar 2011.)

Man weiß noch nicht, wohin das alles führen wird. Jedenfalls kündigt sich eine Wende an.

Auch in der römisch-katholischen Kirche ist eine Wende dringend erforderlich: Weg von einem autokratischen und selbstherrlichen System und hin zu einem System der Freiheit und der Liebe. Dagegen stehen drei Umstände:

1. Durch Jahrhunderte wurden die Menschen im Religionsunterricht und in den Gottesdiensten dazu erzogen, religiös unterwürfig und unselbstständig zu sein. Diese Geisteshaltung wirkt auch heute noch weiter.

2. Das zentrale System setzt alle ihm noch verbliebenen Machtmittel zur Abwehr von Erneuerung ein.

3. Die breite Masse der Menschen fühlt sich durch ein solches System nicht mehr betroffen. Man geht nicht zu Demonstrationen auf die Straße. Man kehrt dem System den Rücken - nur innerlich durch Wegbleiben von den Gottesdiensten oder sogar äußerlich durch Kirchenaustritt.

Trotzdem ist auch hier letzten Endes die Wende nicht aufzuhalten.

Ergänzung vom 30. Dezember 2012:

„Aus den ersten Wahlen nach dem Sturz der alten autokratischen Regime in Tunesien und Ägypten sind islamistische Parteien als klare Sieger hervorgegangen. Auch in Marokko stellt künftig erstmals eine islamistische Partei den Regierungschef.“

„Alle moderat-islamistischen Parteien in der Region haben ihre klassische Zielsetzung, die Stärkung der Rolle des Islam in Gesellschaft und Politik, zunehmend um Forderungen nach Parteienpluralismus, fairen Wahlen und Korruptionsbekämpfung ergänzt. In gesellschaftspolitischen, kulturellen und moralischen Fragen vertreten sie jedoch – in unterschiedlichem Maße – konservative Positionen, die zum Teil nur schwer mit liberalen Freiheitsrechten vereinbar sind.“ (Aus: „Was nach dem arabischen Frühling kommt“, Sophie Grünwald, WZB Mitteilungen, Heft 135, März 2012.)

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110. Energiearbeit und Gebet  -  26. Februar 2011

In der letzten Zeit kam ich in sehr unangenehme innere Zustände hinein, die jetzt wieder vorbei sind. Ich war gezwungen, meine Erfahrungen mit Energiearbeit und mit Innenschau zu reaktivieren, um damit fertigzuwerden. Dabei ist mir aufgefallen:

Zu Energiearbeit gehört volle Präsenz und Bewusstheit.
Zu Gebet gehört volle Präsenz und Bewusstheit.
So gleicht sich Energiearbeit an Gebet an und umgekehrt.
So geht eines in das andere über.

Ich freue mich darüber und bin bereit, ständig weiterzulernen. Lernen ist unser Leben.

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109. Das Herz - Mördergrube oder Schmelztiegel?  -  10. Februar 2011

In vielen Situationen kann ich ganz zwanglos Liebe ausstrahlen, d.h. es kommen keine Gehässigkeiten über meine Lippen, ohne dass ich mich anstrengen muss.

Etwas anderes sind die Gedanken, die innen auftauchen. Da können durchaus Gehässigkeiten darunter sein. Wird so mein Herz zu einer Mördergrube, die sich mit unterdrückten Gehässigkeiten füllt? Keineswegs.

Mein Herz ist ein Schmelztiegel. In diesem Schmelztiegel lösen sich die Gehässigkeiten auf und sie werden verwandelt.

Das war eigentlich das Geheimnis der Alchemie. Es ging nicht einfach nur darum, Quecksilber in Gold zu verwandeln. Vielmehr sollte das innere Quecksilber des Alchemisten in inneres Gold verwandelt werden.

In der heutigen Situation der Erde geht es nicht darum, dem Stein der Weisen nachzurennen, um Quecksilber in Gold verwandeln zu können. Aber es geht sehr wohl darum, unsere Herzen als Schmelztiegel zu verwenden. Vielleicht wird der Menschheit dann eine Art der Energiegewinnung geschenkt, die die Erde nicht zerstört.

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108. Einstehen für die Menschen und die Erde  -  8. Februar 2011

Der "Cherubinische Wandersmann" von Angelus Silesius enthält das folgende viel zitierte Gedicht:

„Wär´ Christus tausendmal zu Bethlehem geboren,
doch nicht in dir: du bliebst noch ewiglich verloren.“

Ja wollen wir denn, dass jemand ewiglich verloren bleibt? Hassen oder verachten wir jemand so sehr? Oder über wen brechen wir endgültig den Stab, weil er oder sie es verdient hat?

Kann der Geist des auferstandenen Jesus nur in jemand geboren werden, der Jesus kennt? Das meine ich nicht. Und kann er nur in jemand geboren werden, der Jesus nicht ablehnt? Das meine ich auch nicht, denn vielleicht wird ja nur ein Zerrbild von Jesus abgelehnt.

Ist da trotzdem jemand, in dem der Geist des auferstandenen Jesus nicht geboren wird, solange er oder sie hier auf der Erde lebt? Wenn es so ist, dann liegt es in der Verantwortung der anderen, für ihn oder sie einzustehen.

Wir können das Gedicht von Angelus Silesius aber nicht nur auf den Einzelmenschen beziehen. Wir können es auch kollektiv anschauen, in unserem Jetzt. Wir leben in einer Zeit, in der man auf viele Gewalttätigkeiten hinweisen kann, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Natur. Das Schicksal der Menschheit als Ganzes steht auf der Kippe.

Und genau in dieser unserer Zeit ist der Geist des auferstandenen Jesus ganz stark da. Er will in vielen geboren werden. Und er wird in vielen geboren werden. Er will, dass kein Mensch verloren geht. Und es wird kein Mensch verloren gehen. Er will, dass sich die Menschheit mit der Erde versöhnt. Und die Menschheit wird sich mit der Erde versöhnen.

Vielleicht durch Katastrophen hindurch. Es liegt in unserer Hand. Wir sind dafür verantwortlich, für andere Menschen einzustehen. Und für die Erde.

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107. Der Menschensohn hat keinen Ort  -  10. Januar 2011

Beim Neujahrsempfang unseres Bürgermeisters traf ich die evangelische Lektorin, die mir einmal den Satz geschrieben hat: "Das Lektorenamt erfüllt mich aus dem innersten Herzen." (Siehe meinen Baustein 85. Aus dem innersten Herzen.)

Als ich ihr erzählte, dass Gerhild, meine Frau, und ich am Silvesternachmittag an einem evangelischen Gottesdienst der besonderen Art in ihrer Pfarrgemeinde teilgenommen hatten, antwortete sie: "Ja, wir machen solche Gottesdienste von Zeit zu Zeit - ich war verreist." Mit ihren Worten kam mir herüber, dass sie zutiefst zuhause ist, nicht nur bei Jesus, sondern auch in ihrer Pfarrgemeinde.

In keiner christlichen Kirche - schon gar nicht in der römisch-katholischen Kirche, deren Mitglied ich bin - bin ich wirklich zuhause. Die römisch-katholische Kirche ist vom Klerikalismus geprägt und von Krisen geschüttelt. Aber das allein ist es nicht. In meinen sieben Büchern, von denen seit 2008 sechs erschienen sind oder demnächst erscheinen werden, habe ich Texte der Bibel und des Daodejing umgestaltet und eine eigene experimentelle Theologie entwickelt. Viele Glaubenssätze der überkommenen christlichen Kirchen habe ich entweder ganz abgelegt oder ich drücke sie in anderen Worten aus.

Mir kommt der Satz Jesu in den Sinn: "Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann." (Mt 8,20; Lk 9,58.)

In analoger Weise habe auch ich keinen Ort und ich fühle mich Jesus ganz nahe. Aber ich verbinde mit dieser Feststellung keine Dramatik und keine Tragik. Ich bin längst an jedem Ort, wo auch immer ich hinkomme, zuhause.

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106. Und führe uns nicht in Versuchung?  -  8. Januar 2011

Das Vaterunser lautet in der ökumenischen Fassung:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

Der Satz "Und führe uns nicht in Versuchung" wird von immer mehr Menschen, auch von mir, abgelehnt. Wie in PM-Perspektive 04/2006 berichtet wurde, hat Ruth Lapide bei der französischen Bischofskonferenz nach jahrelanger Intervention erreicht, dass zumindest in Frankreich statt „Und führe uns nicht in Versuchung“ gebetet wird: „Und lass uns der Versuchung nicht erliegen“ (deutsche Übersetzung). Nach einer Information, die ich dem Essay "Religionen für mündige Menschen" von Gisbert König entnehme, haben auch die italienischen Bischöfe 2007 den Vers geändert. In Italien und im Tessin wird demgemäß gebetet: „Und lass uns der Versuchung nicht anheimfallen“ (deutsche Übersetzung). Die Begründung für solche Änderungen ist, dass man einen Fehler bei der Übersetzung aus dem Aramäischen ins Griechische vermutet.

In meiner Fassung (veröffentlicht in meinem Buch "Du bist Liebe") lautet das Gebet wie folgt:

Vater,
dein Name werde geheiligt,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe
in allem, was du geschaffen hast.
Gib uns heute, was wir zum Leben brauchen,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir unsren Schuldnern vergeben.
Lass uns niemals den Glauben an dich verlieren
und löse uns aus allen Verstrickungen des Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

Günther Schwarz hat die ältesten griechischen und altsyrischen Grundtexte in die aramäische Muttersprache Jesu rückübersetzt und anschließend den so gewonnenen Wortlaut ins Deutsche übertragen. In dem Buch "Das Jesus-Evangelium" von Günther Schwarz/Jörn Schwarz lautet das Vaterunser so:

Abba!
Deine Gegenwart werde geheiligt!
Dein Königtum breite sich aus!
Dein Wille geschehe!
Lass uns geben unsere Nahrung!
Und lass uns vergeben unsere Sünden!
Und lass uns retten aus unserer Versuchung!

Diese Übertragung nehme ich als Anregung, meine Fassung des Gebets noch einmal zu überdenken. Mir gefällt die Wortwahl von Günther Schwarz. Seine Interpretationen dazu übernehme ich nicht. Meine Fassung ändere ich wie folgt:

Vater!
Deine Gegenwart werde erkannt.
Dein Königtum breite sich aus.
Dein Wille geschehe
in allem, was du geschaffen hast.
Gib uns heute, was wir zum Leben brauchen.
Und vergib uns unsere Schuld.
Lass auch uns allen Menschen vergeben.
Lass uns dir immer ganz vertrauen
und löse uns aus allen Verstrickungen des Bösen.
Denn dein ist das Königtum
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

(Siehe auch: 166. Mein Vaterunser.)

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105. Im Namen des Vaters?  -  8. Januar 2011

Das Grundgebet zum Kreuzzeichen lautet:

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Um nicht das Dogma der Trinität zu bedienen, um aber andererseits das Gebet nicht zu sehr zu ändern, habe ich das Gebet vor einigen Jahren wie folgt abgeändert (veröffentlicht in meinem Buch "Du bist Liebe"):

Im Namen des Vaters, der den Menschensohn gesandt hat und den Geist sendet. Amen.

Wenn man das biblische Verständnis des Namens einer Person oder des Namens Gottes mit einbezieht, ist es besser zu sagen:

In der Gegenwart Gottes, der uns Vater ist, der den Menschensohn gesandt hat und den Geist sendet. Amen.

Darüber hinaus kann ich das Gebet nicht ändern. Im persönlichen Gebet spreche ich nicht mehr den Vater an, sondern den transzendenten Gott. Aber das geht über dieses Grundgebet hinaus.

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104. Die entscheidende Erfahrung Jesu am Kreuz  -  29. Dezember 2010

Die Geißelung und die nachfolgende Kreuzigung mit dem Todesringen unter unsäglichen Qualen gehören zum Grausamsten, was Menschen ersonnen haben. Und diese zum Tod führende Marter trifft nun denjenigen, der in abgrundtiefem Vertrauen mit Gott vollständig eins war und ihn Vater nannte.

Wir kennen die sogenannten Sieben Letzten Worte Jesu am Kreuz. In allen vier Evangelien sind solche Worte überliefert und sie wurden in eine traditionelle Reihenfolge gebracht.

Davon sehe ich nun ab und betrachte nur die Darstellung des Sterbens Jesu im ältesten Evangelium, dem Markusevangelium. Wie es dort beschrieben ist, so hat es der Autor des Matthäusevangeliums übernommen. Ich ziehe die genaueste Übersetzung heran, das Münchener Neue Testament.

"Und als geworden war (die) sechste Stunde, Finsternis wurde über die ganze Erde bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloi Eloi lema sabachthani? Was ist übersetzt: Mein Gott, mein Gott, wozu verließest du mich?" Nun wird Jesus ein Schwamm mit Essig hingehalten. "Jesus aber, ausstoßend einen lauten Schrei, hauchte aus." (Mk 15,33.34.37.)

Im Markusevangelium wird das aramäische Wort Eloi verwendet, im Matthäusevangelium das hebräische Wort Eli. Jedenfalls wird hier Gott mit dem Namen El angeredet.

Jesu Muttersprache war Aramäisch. Ob nun Eloi mit "Mein Gott" oder einfach nur mit "Gott" zu übersetzen ist, ist für mich nicht zu entscheiden. Auf der Website von ADNT (Aramäisch-Deutsches Neues Testament), bei der Diskussion der Letzten Worte, ist das "Mein" jedenfalls in eckiger Klammer.

Gehen wir doch ab von der einfachen Erklärung, Jesus habe hier den Psalm 22 rezitiert, in den letzten qualvollsten Augenblicken, kurz vor seinem Tod. Gehen wir doch einmal davon aus, dass für Jesus in diesen Augenblicken alles zusammengebrochen ist und auf jeden Fall und ganz besonders seine Einheit mit Gott als Vater. Nun kann er nicht mehr vertrauensvoll Gott den Vater nennen. Er schreit den Gottesnamen und seine Verlassenheit heraus. Seine Umgebung reagiert mit Spott und dem Essigschwamm. Jesus stößt noch einmal einen lauten Schrei aus, diesmal unartikuliert, und haucht aus. Man spricht ebenso vom Atemhauch wie vom Hauch des Windes und vom Hauch des Geistes. Die ganze tiefe Bedeutung des Sterbens ist hier enthalten.

Nicht in einem vertrauensvollen sich dem Vater Anheimgeben, sondern in dieser letzten Entäußerung entfaltet sich die ungeheure Kraft des Sterbens Jesu, die im Evangelium so ausgedrückt wird:

"Und der Vorhang des Tempels wurde gespalten in zwei (Stücke) von oben bis unten." (Mk 15,38.)

Die Nachfolge Jesu geht über das Erleben des vertrauten Vatergottes hinaus. Wenn wir alles verlieren, gewinnen wir Unermessliches. Die tiefe Sicherheit, dass Gott ist und für uns da ist, führt uns über die Bruchstelle hinweg.

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103. Solve et coagula  -  17. Dezember 2010

In meinen literarischen Tagebüchern habe ich vor einigen Tagen eine Eintragung gefunden, von der ich hier einen Ausschnitt wiedergebe:

26. Februar 1993:

Das Widersacherprinzip handelt nach dem Wahlspruch "Solve et coagula". Das, was getrennt wird, wird auf höherer Ebene wieder zusammengeführt. Was den größten Schatten geworfen hat, was kompakt und drohend aussah, ist auf einmal durchlichtet. Das Schwere, das herabzieht, enthält alle Leichtigkeit.

Das Verteufelte gehört wieder dazu, und der Sündenbock kehrt aus der Wüste zurück.

"Solve et coagula" (lat.: löse und verbinde) ist eine Schlüsselformel der Alchemie. Sie bedeutet, die Eigenschaften der Dinge voneinander zu trennen und hinterher zu einem besseren Ergebnis wieder zusammenzufügen. Dabei geht es nicht nur um die Verwandlung der Dinge (z.B. Heilmittel), sondern auch um die Verwandlung des Menschen.

Das setze ich nun in Beziehung mit dem Binden und Lösen in der Bibel. In Mt 16,19 sagt Jesus dem Simon Petrus: "Et tibi dabo claves regni caelorum et quodcumque ligaveris super terram erit ligatum in caelis et quodcumque solveris super terram erit solutum in caelis." (Vulgata.)
"Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben, und was du auf der Erde bindest, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde lösest, das soll auch im Himmel gelöst sein." (Menge-Bibel.)

In Mt 18,18 wird die Vollmacht des Bindens und Lösens den Jüngern bzw. der ganzen Gemeinde zugesprochen.

Der ursprüngliche Sinn dieser Worte ist folgender: "Die Vollmacht zu 'binden und zu lösen' ist jene Vollmacht, einen Schuldigen so aus der Gemeinde auszuschließen, dass dieser Ausschluss vor Gott reale Bedeutung hat, bzw. die Vollmacht der Wiederaufnahme in die Gemeinde, die Versöhnung mit Gott mit sich bringt." (Josef Weismayer, „Dogmatik“, S. 290.)

Das Lösen und Binden schließt auch ein Freisprechen oder nicht Freisprechen von Schuld mit ein, wie es in Joh 20,23 ausgedrückt wird. In diesem Sinn bedeutet Binden, dass die Gebundenheit an die Schuld bleibt, und Lösen, dass der Mensch von der Schuld losgelöst wird.

Meine Vorstellung ist nun: Die richterliche Entscheidung darüber, dass jemand an die Schuld gebunden bleibt, steht keinem Menschen zu. Menschen sind dazu da, einander zur Versöhnung, zur Vergebung und ins Leben zu rufen. Wir haben Katalysatoren für das Lösen von Verbitterungen und Verhärtungen zu sein und Katalysatoren für das Neuwerden von Menschen und menschlichen Beziehungen, ohne jemand einen bestimmten Lebensweg aufzuzwingen. Denken wir doch an das Wasser: Wenn ihm ein Weg versperrt ist, sucht es sich einen anderen. Wir können darauf vertrauen, dass es für jeden Menschen Wege gibt. Für uns selbst und für andere Wege zu öffnen, ist unsere Aufgabe. Wege öffnen heißt nicht, Wege vorschreiben.

Nehmen wir unsere Verantwortung an, ohne Angst. Dann kann wahr werden, was ich in der Tagebucheintragung ausgedrückt habe:

Das Widersacherprinzip handelt nach dem Wahlspruch "Solve et coagula". Das, was getrennt wird, wird auf höherer Ebene wieder zusammengeführt. Was den größten Schatten geworfen hat, was kompakt und drohend aussah, ist auf einmal durchlichtet. Das Schwere, das herabzieht, enthält alle Leichtigkeit.

Das Verteufelte gehört wieder dazu, und der Sündenbock kehrt aus der Wüste zurück.

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102. Transkatholische Transformation  -  17. Dezember 2010

In meinen literarischen Tagebüchern habe ich vor einigen Tagen folgende Eintragungen gefunden:

20. Februar 1993:

Frage:    Welches Verhältnis habe ich nun eigentlich zur katholischen Kirche?
Antwort: Ich bin transkatholisch.

21. Februar 1993:

Als Katholik kann ich nicht Buddhist sein.
Als Transkatholik kann ich schon gar nicht Buddhist sein.
Ich kann jedoch sehr wohl als Transkatholik Transbuddhist sein.

Die Postmoderne nützt uns nichts.
Die Transmoderne ist gefragt.

In dem, was ich bin, in dem, was ich schreibe,
die Kräfte der Transmoderne zum Ausdruck bringen.

24. Mai 1993:

Stichworte:
Das Zeitalter der Reformation ==> das Zeitalter der Transformation.

Worauf es jetzt ankommt:
"Das ist keineswegs eine 'Neubesinnung' auf die alten Werte, also keine Re-formation, sondern Möglichkeit zu echter Transformation."
(Aus: Elisabeth Rasehorn "Geführtes Zeichnen II" in "Gestern heute morgen 2" vom 1.1.1989.)

Ich habe ein wenig im Internet gesucht, um herauszufinden, wer diese Trans-Worte sonst verwendet hat, und in welcher Bedeutung.

Im Oktober 2009 gab es in Wien die Aufführung einer " liturgischen Posse" mit dem Titel "Transkatholische Vögel". Laut Beschreibung war das Stück auf der Suche nach politischen und religiösen Utopien.

Es gibt eine Website transmoderne.de, in der man Weblog-Einträge "jenseits der Tradition und Moderne" finden kann. Einem der Weblog-Einträge kann man entnehmen, dass für Paul H. Ray die Träger der Transmoderne die kulturell Kreativen sind.

Es gibt konkrete Entwicklungen der Moderne, die eine neue Qualität der Bedrohung angenommen haben, wie beispielsweise durch Atomwaffen, Terror, Umweltkatastrophen, Aids. Die Moderne ist janusköpfig. Ihre Fortschritte produzieren neue Risiken. Die Bedrohung, vernichtet zu werden, wird globalisiert. Die bislang bewährten Denk- und Handlungsmuster erscheinen obsolet. Während die moderne Sichtweise das Christentum in die bestehende Gesellschaft integrieren will, setzt die transmoderne Sichtweise bewusst einen Kontrapunkt zur Moderne mit dem Ziel einer gesellschaftlichen Transformation. (Nach: "Ermöglichungspastoral: Ein neues Paradigma in der Seelsorge" von Joachim Eckart.)

Mein Resümee: Die Einsicht, dass zum Linearen das Nichtlineare, zum Stetigen das Nichtstetige gehört, ist weltweit dringend nötig, sowie das damit verbundene Zulassen der Lebensmöglichkeiten aller und das aktive Eintreten für diese Lebensmöglichkeiten. Damit das Weltgeschehen nicht in Kriegen und Katastrophen auseinanderfällt, ist der Übergang zu einem neuen Bewusstsein dringend erforderlich. Damit meine ich, dass bei vielen Menschen das grundlegende Verständnis des miteinander Verwobenseins und aufeinander Angewiesenseins aller Menschen und überhaupt aller Wesen dieser Erde erwachen muss und hoffentlich auch wird. Das kann nur bei Menschen auf dem Weg zu vollem Urvertrauen und Selbstvertrauen gelingen. Wir sind dafür verantwortlich, uns selbst und allen Menschen solche Wege zu öffnen.

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101. Der Papst ist zurückgetreten  -  4. Dezember 2010

Der Papst ist zurückgetreten. Kurz danach bin ich ihm persönlich begegnet. Er wirkte auf mich vollkommen debil und hilflos und ich fragte mich: Wie konnte er in dem Zustand überhaupt noch die Entscheidung treffen, sein Amt aufzugeben?

Was ich da geschrieben habe, stammt nicht aus der äußeren Realität, sondern aus einem sehr lebendigen Traum der letzten Nacht. Ich denke aber doch, dass sich dieser Traum nicht nur auf meine Innerlichkeit bezieht, sondern auch etwas von der tragischen Situation widerspiegelt, in die sich die römisch-katholische Kirche im Lauf der Jahrhunderte und leider besonders in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hineinmanövriert hat.

Mein Traum führt mich dazu, für die Zukunft eine Bedingung zu formulieren: Ein Papst darf, wenn er gewählt wird, nicht älter als 70 Jahre sein und er muss mit 75 wie jeder andere Bischof seinen Rücktritt anbieten. Aber wem soll er denn seinen Rücktritt anbieten? Er ist ja niemandem Rechenschaft schuldig. "Der Bischof von Rom hat nämlich kraft seines Amtes als Stellvertreter Christi und Hirt der ganzen Kirche volle, höchste und universale Gewalt über die Kirche und kann sie immer frei ausüben." (II. Vat. Konzil, Lumen gentium 22.)

Hier noch einige im kanonischen Recht enthaltene Beispiele von päpstlichen Unrechtsprivilegien, die im Laufe der Kirchengeschichte zusammengeraubt wurden:

"Can. 333 - § 1. Der Papst hat kraft seines Amtes nicht nur Gewalt in Hinblick auf die Gesamtkirche, sondern besitzt auch über alle Teilkirchen und deren Verbände einen Vorrang ordentlicher Gewalt."

"Can. 333 - § 3. Gegen ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch Beschwerde."

"Can. 1404 - Der Papst kann von niemandem vor Gericht gezogen werden."

"Can. 1442 - Der Papst ist der oberste Richter für den gesamten katholischen Erdkreis."

Ich träume nun meinen Traum im Wachzustand weiter: Der Papst, der 75 Jahre alt geworden ist, bietet seinen Rücktritt dem Kardinalskollegium an. Und wenn das Kardinalskollegium den Rücktritt annimmt, setzt der Dekan des Kardinalskollegiums die Neuwahl an. Diese Vorstellung ist ein absolutes Minimum, ein erster kleiner Schritt zu einer dringend notwendigen Gesamtrevision des kanonischen Rechts.

In meinem Traum drücke ich ein dringendes inneres und wie ich glaube auch äußeres Bedürfnis aus. Die Sehnsucht ist groß, dass ein neuer Papst den im krassesten Widerspruch zu Jesus stehenden Prunk und seine Ehrentitel ablegt und die zusammengeraubte Machtfülle aufgibt. Dass diese Sehnsucht Erfüllung findet, ist in der derzeitigen Situation der Kirche, die in ihren Strukturen erstarrt ist und von ihren Mitgliedern, angefangen bei den Bischöfen, unterwürfigen Gehorsam einfordert, undenkbar. Doch vielleicht stehen wir am Vorabend eines generellen, weltgeschichtlichen Umbruchs, dem auch und gerade die römisch-katholische Kirche nicht entgehen wird.

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